Hof – Der Besucher muss denken, er ist ihm Wald. Holzstreusel bedecken im Theaterstudio den Boden. Links eine Fichtenschonung. Rechts ein Wohnwagen, klapprig. Drin vier Menschen unterschiedlichen Geschlechts und Alters: Vater, Mutter und zwei Kinder, mit dem Erwachsenwerden ringend. Die deutsche Durchschnittsfamilie in ihrer heiligen Einfalt: „Man weiß ja nichts, und darum muss man mit dem Schlimmsten rechnen.“

Was sind das für Leute? Vielleicht harmlose Urlauber auf der Flucht vor der Stadt. Woher kommen sie? Aus dem Süden Bayerns? Dafür beherrschen sie den Dialekt, an dem sie sich gelegentlich versuchen, viel zu schlecht. Sind sie Abgehängte, Rausgeschmissene, die hier vegetieren, weil sie Hab und Gut und ihre Bleibe verloren? Könnte sein: Stoisch bereitet Mutter ein Frühstück aus Margarinebroten und Pulverkaffee. Oder sind es Extremisten, der Polizei entronnen? Dafür sprechen, zum Beispiel, die Hakenkreuze, die dick auf der Tasse und auf der Gitarre der Tochter prangen (Ausstattung: Ilka Meier).

Sie sagen „Schwamm drüber“ über die Vergangenheit. „Schwarzbraun ist die Haselnuss, schwarzbraun bin auch ich“, singen sie mit vollem Recht. „Völkerstolz“, wie ihn die anderen Nationen pflegen, fordern sie fürs eigene Vaterland. Immerhin „ist die Welt voll von Ausländern“, nur „der Deutsche ist nirgendwo einer“. Gegen die Tochter ermittelt die Justiz wegen „Volksverhetzung“? Sie hat halt ein „ausgeprägtes Geschichtsgedächtnis“ und weiß darum auch die edlen Seiten tapferer Wehrmachtsoffiziere zu rühmen. Na gut, „den Kiosk vom Türken“ hat sie wirklich angezündet. Doch Mutter mahnt, nicht „jede feuerliche Entwicklung“ gleich unter einen „gewissen Verdacht“ zu stellen. Hierzulande, gibt sie zu bedenken, „hat das Feuer eine Tradition“: „In Deutschland brennt viel, da kann es schon mal einen Ausländer treffen.“

In Solingen brannte 1993 das Haus einer türkischen Familie, und es „traf“ fünf Menschen, tödlich. Damals Anlass für Franz Xaver Kroetz, brennend vor „verfassungslosem“ Entsetzen und gerechter Empörung, übereilig 24 Einzelszenen „aus dem neuen Deutschland“ auszuspeien: „Ich bin das Volk“. Jetzt, umdröhnt von alter Neonazi-Propaganda und neuem rechtspopulistischen Radau, wählten Regisseur Max Claessen und die Memminger Dramaturgin Silvia Stolz zwölf Episoden aus: riefen sie sozusagen in den deutschen Wald hinein, darauf hoffend, herausschallen werde ein halbwegs stichhaltiges Stück. Dies blieb aus.

Denn die Hälfte der Suaden und Wortwechsel passt kaum bis gar nicht in das Raster des Konzepts. Folglich geht das Ensemble des Landestheaters Schwaben, das am Sonntag bei den Bayerischen Theatertagen auftrat, mal schwankend und mal sprunghaft in die Irre, auch wenn die vier sich aufführen wie die Axt im Wald: Jens Schnarre als (erbärmlich chargierender) Vater und Anke Fonferek, als reaktionäre Mutter Courage die einzige fesselnde Gestalt im Quartett, Tochter Elisabeth Hütter als dumme, aber aktivistische Pute und Sandro Šutalo mit etlichen, schwer nachvollziehbaren Brüchen in der Sohnesrolle.

Vor 24 Jahren durfte sich der schockierte Autor alle zimperliche Nuancierung bei der Zeichnung von Situationen und Figuren sparen: Zweck seines „Gebrauchsstücks für die Gegenwart“ war der aufrüttelnd unmissverständliche Fingerzeig, und dem war jedes krachende und grelle Mittel recht. Aus dem Memminger Wald von heute rumpelt die verdüstert zusammengeschusterte Brachial-Realsatire heraus wie eine Zitatensammlung landläufiger Losungen, Schlagworte und Verschwörungsfantasien aus AfD und Pegida, Neuer Rechter und den Bierfestzelten allerorten. So widerlich und wirr die Faseleien sind: Man „weiß“ von ihnen, und das „Schlimmste“, mit dem zu „rechnen“ war, trat ein. Derart vordergründig präsentiert, von keiner Reflexion durchleuchtet, entfachen die finsteren Phrasen aus dem intellektuellen Unterholz auf dem Theater kein Feuer von Bedeutung.

Größeren Schrecken verbreitet eine greifbare Höllenausgeburt der Memminger: ein Riesen-Wolpertinger, der wie ein Raubtier brüllend durch den deutschen Forst streicht. Nicht für einen Wald voll Affen, wie man so sagt, will man in der wirklichen Natur solch einem Scheusal begegnen. „Krampus“ nennt das Programmblatt die monströse Kreatur, die zum Nikolaus-Brauchtum des Alpenlands gehört. Geheimnis bleibt, was sie zu den Sommerfrischlern nach rechts außen trieb. In der Medizin heißt Krampus übrigens so viel wie Krampf. Angesichts dieser Theaterproduktion mag man das kaum für einen Zufall halten.