Leichte Kost ist das nicht: Ein junger, heillos überreizter Mann bittet hilfesuchend einen Freund zu sich in sein gruseliges Herrenhaus. Dort bestatten die beiden die alsbald verblichene Schwester des Hausherrn; indes verfrüht. Aus der Gruft kehrt die vermeintlich tote Maid – zu Lebzeiten wohl mit dem Bruder sündig durch Inzest verbunden – zurück und holt den verräterischen Geliebten zu sich in den Tod.

Schwere Kost: Aus dem „Untergang des Hauses Usher“, der wohl berühmtesten Novelle Edgar Allan Poes, hat Claude Debussy eine Oper gemacht. Machen wollen: Bis 1918, während der letzten zehn Jahre seines Lebens, arbeitete er immer wieder an der Partitur und wurde doch nie fertig damit. Das Fragment vervollständigte Robert Orledge. Zugegeben, keineswegs alles am Ergebnis ist echter Debussy, nahm doch der britische Bearbeiter, über die stilstimmige Instrumentation hinaus, mutig die Aufgabe auf sich, Fehlendes hinzuzukomponieren

So immerhin, und nur so, konnte eine aufführungsfähige Version entstehen, die im Dezember 2013 in Göttingen der Dirigent Christoph-Mathias Mueller mit dem dortigen Symphonie-Orchester und einem verlässlichen Sängerensemble aus der Taufe hob. Als Live-Mitschnitt liegt „Le Chute de la Maison Usher“ bei Pan Classics nun auf CD vor – als Weltersteinspielung. 52 Minuten lang Düsterstimmung: In vielen dunkelfarbigen Valeurs lässt Mueller die Abgründe der Herzen und des Hauses schillern – Debussy nannte dergleichen „reizvollen Moderduft“.

Entspannt bei einem Glas Rotwein lässt solche Musik sich schwerlich genießen; Interesse und Anteilnahme verlangt und verdient sie. Auf einer zweiten CD folgt die Belohnung dafür: Deutlich lichter und leichter, weil komödiantisch geht es in den 37 Minuten zu, die das Doppelalbum dem Geige spielenden „Teufel im Glockenturm“ einräumt. Vom Bruchstück „Le Diable dans le Beffroi“ fand Orledge gar nur ein paar Skizzen vor. Beide Rekonstruktionen empfehlen sich hauptsächlich den vielen Verehrern des großen Komponisten, die so ihre Sammlung seiner Werke komplettieren können.


„Hans Gál stand am Ende, Wolfgang Amadeus Mozart am Anfang des langen goldenen Zeitalters, in dem Wien die Hauptstadt der Musik war“, schreibt Dirigent Kenneth Woods im Beiheft einer CD, die beide Komponisten zusammenführt. Reicht so bruchstückhafte Chronologie, um einem lange Vergessenen den Vergleich mit einem ewigen Genie zuzumuten? Gál, Niederösterreicher ungarisch-jüdischer Herkunft und 1987 hochbetagt in Edinburgh gestorben, kann’s vertragen. Denn um eine früh voll ausgebildete, bis ins Greisenalter ertrag- und lange erfolgreiche Komponisten-Persönlichkeit handelte es sich bei ihm, hochrangig in seiner Originalität wie in seinem Handwerk. Im Schatten des hitlerschen Terrors vom Schicksal mehrfach grausam heimgesucht, erhielt er sich doch seine Kreativität – als Rettungsmittel: „Musik“, schreibt Woods, „öffnete in schwierigen Zeiten ein Fenster zu einer inneren Welt, in der alles heil und schön war.“

Ins süßlich Einlullende entfloh Gál allerdings nicht. Seine vier Symphonien erweisen das, sein Violin- und das Cellokonzert, die Klaviermusik, die der Tonträgermarkt in jüngster Zeit sämtlich zu neuem Leben erweckte. Jetzt nahm das Londoner Label Avie erstmals das Klavierkonzert von 1948 auf. Als Solistin vor der Royal Northern Sinfonia aus dem britischen Gateshead übt sich Sarah Beth Briggs in perlender Klarheit und gezügeltem, aber abwechslungsreichem Impetus. Kammermusikalisch durchscheinend entfaltet sich die Musik auch in den temperamentvollen Passagen, so gleich am wirbelnden Beginn; erst recht erreicht sie in der Lyrik farbige Zartheit. Und stets leuchtet, sich kräftigend, Humor durch ihre Gebärden.

Dem Konzert folgt Mozarts Nummer 22 in Es-Dur aus dem Jahr 1785. Das Werk eines Genies – und allenthalben zu hören. Gáls Opus aber hört man, bisher, ausschließlich hier.

Noch einer, der seine Auferstehung der CD verdankt: Auch für Walter Braunfels (1882 bis 1954) bedeutete die Nazi-Diktatur das Ende seines bisherigen Schaffens und Wirkens; zwar komponierte er in Deutschland weiter, doch als „Halbjude“ in „innerer Emigration“. Nach dem Ende des „Dritten Reichs“ fand er nicht mehr allzu wahrnehmbar in die Öffentlichkeit zurück. Mit seinem Mysterium „Verkündigung“ und dem musikdramatischen Haupt- und Durchbruchswerk „Die Vögel“ machten erst Emi, dann Decca Mitte der Neunziger neuerlich auf ihn aufmerksam.

Zwei eigenständige Stücke aus den „Vögeln“ – mit dem reich und reif tirilierenden Koloratursopran von Valentina Farcas und Klaus Florian Vogts knabenhaftem Tenor – eröffnen und beschließen eine Fünferserie von Orchesterliedern, die Hansjörg Albrecht als Leiter der Staatskapelle Weimar für Oehms Classic eingespielt hat. Zwei „Hölderlin-Gesänge“ und die Hesse-Vertonung „Auf ein Soldatengrab“ trägt Michael Volle mit männlichem Bariton bei. Zwischen 1913 und 1918 entstanden, atmen die Stücke eine damals noch zeitgemäße, empfindliche und pathetische Romantik. Nach 1945 freilich wurde solche Tonsprache von der in Westdeutschland hektisch nachgeholten Avantgarde hinweggefegt; also auch die „klassisch-romantische Phantasmagorie für großes Orchester“, in der Braunfels 1924 unterm Titel „Don Juan“ die „Champagner-Arie“ aus Mozarts „Don Giovanni“ variierte und die gleichfalls auf der Platte enthalten ist.

Derlei Vorbehalte gelten heute zum Glück nicht mehr. Dass dem wunderbaren ersten Teil der Orchesterlieder im Herbst ein zweiter folgen soll, stimmt sehr erwartungsfroh.
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? Debussy: Pan Classics, 2 CDs, Nr. PC 10342.
? Gál, Mozart: Avie Classics, 1 CD, Nr. AV 2358
? Braunfels: Oehms Classic, 1 CD, OC 1846.