Kopenhagen (dpa) - Ende 2014 zieht sich Lars von Trier in einem Video demonstrativ das Klebeband vom Mund. Der Filmemacher will nicht mehr schweigen. Dazu hatte ihn allerdings auch niemand gezwungen. Den Maulkorb hatte sich der Regisseur selbst verpasst, nachdem er wegen Nazi-Aussagen bei den Festspielen in Cannes 2011 rausgeflogen war.

Rund drei Jahre hält der Däne danach in der Öffentlichkeit den Mund, anstatt zu provozieren, protestieren, rebellieren, wie er es sonst tut. Dann bricht er sein Schweigen. In der dänischen Zeitung Politiken beichtet von Trier seine Alkoholsucht - und seine Angst davor, nüchtern keine Filme machen zu können. "Das macht mir Sorgen."

Angst und Depressionen wiegen schwer in Lars von Triers Leben. Vor seinem 60. Geburtstag (30. April) hat er sich trotzdem wieder an einen Film getraut. "The House That Jack Built" werde in diesem Jahr gedreht, kündigte von Trier vor kurzem auf seiner Facebook-Seite an.

Es ist das erste Projekt des Filmemachers seit "Nymphomaniac". Das zweiteilige Sexdrama sei der erste Film gewesen, bei dem er nicht unter Einfluss eines Cocktails aus Alkohol und Tabletten gestanden habe, als er das Manuskript schrieb, sagte von Trier. Deshalb habe er eineinhalb Jahre dafür gebraucht. Seine Aussage, nur im Rausch etwas zustande zu bringen, ist damit aber widerlegt.

Denn die Lebensgeschichte einer Sexhungrigen ist intensiv, berauschend und ohne Zweifel eines der größten Kunstwerke, die Trier in seiner langen Karriere geschaffen hat. Die nahm nach dem Filmstudium mit dem Spielfilm "The Element of Crime" (1984) Fahrt auf. In Dänemark wird seine Fernsehserie "Geister" zum Riesenerfolg. Mit dem Dogma-Film "Idioten" (1998) schockt von Trier mit expliziter Nacktheit, macht aber die Kritiker auf sich aufmerksam.

Für "Dancer in the Dark" (2000) mit der isländischen Sängerin Björk bekommt er schließlich die Goldene Palme in Cannes. Auch der minimalistische, in Theaterbühnen-Optik gedrehte Film "Dogville" (2003) mit Nicole Kidman ist vielfach preisgekrönt. Der verstörende Psychothriller "Antichrist" (2009), den von Trier inmitten einer schweren Depression schreibt, stößt in Cannes auf ein geteiltes Echo. Auf dem Filmfestival sagt der Däne, der sich einmal als "besten Regisseur der Welt" bezeichnete, den Horrorstreifen habe er ohnehin "für mich selbst gedreht, nicht für das Publikum".

So anerkannt Trier, der sich das "von" im Namen selbst verpasst hat, als genialer Künstler und Erneuerer der Filmbranche ist, so umstritten ist er als öffentliche Person - im Ausland vor allem seit dem Festival-Eklat in Cannes 2011. Dort hatte er vor der versammelten Presse Verständnis für Hitler ausgedrückt und mit Verweis auf seinen biologischen Vater, einen Deutschstämmigen, erklärt: "Ich bin ein Nazi." Im Rückblick sagt er: "Das war die erste Pressekonferenz, auf der ich nüchtern war, und das ist anscheinend lebensgefährlich."

Sogar Zeitungen im eigenen Land beschimpften von Trier anschließend als "hemmungslos" und "größenwahnsinnig", obwohl sich der Regisseur für die als dummen Scherz gemeinten Aussagen entschuldigte. Es ist ein etwas zwiegespaltenes Verhältnis, das die Dänen zu ihrem Enfant terrible haben. Einerseits ist er einer ihrer berühmtesten Landsleute und hat den dänischen Film geprägt wie kein zweiter - nicht nur durch die Dogma-Bewegung -, andererseits gehen seine Ausfälle selbst den an grenzenlos sarkastischen Humor gewöhnten Dänen manchmal zu weit.

Auf die Idee, ihn für antisemitisch zu halten, kämen sie aber nicht. Seine Ziehvater war Jude - und von seiner Mutter als junger Erwachsener zu erfahren, dass er selbst nicht jüdischer Abstammung ist, versetzte von Trier nach eigener Aussage einen Schock. "Ich bin ja im Herzen ein Jude", sagt er Politiken Ende 2014.
Als das Interview erscheint, geht er gerade jeden Tag zu Treffen der Anonymen Alkoholiker, um seine Sucht in den Griff zu bekommen - seiner Frau und den Kindern zuliebe. Doch seine Ehe kann der Däne nicht retten. Im Herbst 2015 geben Lars und Bente Trier, die gemeinsam Zwillinge haben, ihre Trennung bekannt. Für den Regisseur ist es schon die zweite Ehe, die zerbricht. Mit der dänischen Regisseurin Cæcilia Holbek hat Trier zwei Töchter.