Ein einziger Schauspieler: So wenige Akteure haben wohl noch nie die "Blechtrommel", Günter Grass' seiten- und figurenreichen Meisterroman, szenisch umgesetzt: Beim Gastspiel des Schauspiels Frankfurt in Recklinghausen brillierte Nico Holonics als Oscar Matzerath - und in allerlei weiteren Rollen. Beachtliche Rekorde.
Zu den Superlativen gehört auch, dass der exquisite Veranstaltungsreigen stolz als ältestes (Sprech-) Theaterfestival - und, mit heuer gut 300 Veranstaltungen, als eines der größten - in Europa firmiert. Vor jetzt siebzig Jahren ging hier die Kunst nicht nach Brot, sondern nach Kohle. Im klirrenden Frostwinter 1946/47 machten sich Bühnenkünstler aus Hamburg mit zwei alten Lastwagen in den Ruhrpott auf: Nach Kohlen wollten sie fragen, um die Theater der Hansestadt beheizen zu können.
In der Zeche "König Ludwig" in Recklinghausen-Suderwich erhielten sie, was sie so dringend begehrten. Für die Hilfsbereitschaft wollten sich die fortan temperierten Bühnen revanchieren: Mit einem Gastspiel statteten sie im Sommer darauf ihren Dank ab - die Wurzel, aus der "Kulturtage der Arbeit" sprossen. Seit Hansgünter Heymes gründlicher Reform von 1991 orientiert sich das Festival ausdrücklich europäisch. Auf der Schauspielkunst liegt sein Fokus; gierig und innovativ aber ist Frank Hoffmann, der seit 2004 als Intendant amtiert, auf Grenz- und Gattungsüberschreitungen erpicht.
So lud er heuer auch den US-Regiepionier Peter Sellars ein, der zu seinem Debüt auf dem Recklinghausener "Grünen Hügel" das antirassistische Tanztheater "Flexn" aus New York mitbrachte. "Kunst gegen Kohle": Den Slogan von vor siebzig Jahren versteht man heute noch, allerdings ganz anders als damals: Wenn die Kohle ausgeht, muss die Kultur sich warm anziehen.
Kunst und Kultur Kohle für die Kunst
Michael Thumser 26.06.2017 - 21:15 Uhr