In einer Zeit quietschbunter Bilder gerät einer, der über die Welt in Grautönen schreibt, leicht in den Schatten. „Am grauen Strand, am grauen Meer“ fand Theodor Storm als Mensch, Richter und Dichter seine Heimat; am herben Holstein, der nüchternen Landschaft der Marschen „hing sein ganzes Herz“, bis er, heute vor 120 Jahren, in Hademarschen starb. In Husum kam er 1817 zur Welt, in der „seitab“ gelegenen, „grauen Stadt“. Viel Sonne trug er wohl nicht im Herzen, auch litt sein Privat- und Familienleben unter den Zumutungen der Politik und eines launischen Glücks. Vielleicht rührt daher der Umstand, dass seine Lyrik dort, wo sie mit Ernst auf Leben, Land und Menschen blickt, heute mehr Eindruck macht als mit Versen spätromantischer Idyllik. Und auch einst viel gelesene Novellen wie „Immensee“ – die erste von knapp sechzig Erzählungen – oder „Viola tricolor“, die von der Liebe trotz allen Krisenbewusstseins doch recht gefühlssüßlich handeln, sie stehen hinter tief ergreifenden tragischen Stoffen zurück: „Aquis submersus“, „Hans und Heinz Kirch“ oder „Carsten Curator“. Unter den beiden letztgenannten Titeln ergründete Storm desolate Vater-Sohn-Beziehungen – ein Stück Autobiografie: Sein Ältester Hans verfiel, wie der Sohn Carsten Curators, dem Alkohol. Am greifbarsten bleibt der Dichter mit seinem grandiosen Spät- und Hauptwerk aus dem Todesjahr, der zu Romangröße geweiteten, historischen Novelle um den „Schimmelreiter“. Den Kampf eines innovativen Deichgrafen gegen eine behäbig-abergläubische Küstengemeinschaft entfesselt er darin und berichtet vom Bau eines revolutionären Flutschutzes, vom Scheitern und Tod des Konstrukteurs und seiner gespenstischen Wiederkehr … Durch Rahmenhandlungen kunstvoll der Gegenwart entrückt, darf die archaische Saga Zeitlosigkeit beanspruchen, packend in ihrer Dramatik, in ihrem Postulat eines dauerhaften Triumphes zugleich unverrückbar wie ein Denkmal. Das Grau des übermenschlichen Meers, das durch die Novelle in allen Schattierungen strömt, ist die gewaltsame Farbe der Vitalität.