Als im Herbst 2009 der 1096-Seiten-Roman "2666" zu den meistbeachteten Neuerscheinungen in Deutschland zählte, war dessen Autor Roberto Bolaño schon seit mehr als sechs Jahren tot. Der 1953 in Santiago de Chile geborene, 1977 nach Spanien übergesiedelte Schriftsteller starb im Juli 2003, während des Wartens auf eine Organtransplantation, an Leberzirrhose. Er hatte als surrealistischer Lyriker begonnen, seit den 90er-Jahren aber wachsende Erfolge mit Romanen erzielt. Bei seinem Tod hinterließ er mehrere unvollendete Werke, darunter das von Kritikern als ebenso grandios wie ungeheuerlich bezeichnete "2666". Das Buch handelt, unter anderem, von vier Literaturwissenschaftlern, die sich auf der Suche nach einem verschollenen deutschen Romancier in die mexikanische Stadt Santa Teresa begeben, wo sich gerade eine Serie brutaler Frauenmorde ereignet. Es ist bekannt, dass Bolaño den Filmemacher David Lynch ("Blue Velvet") sehr verehrte. Von dessen Fernsehserie "Twin
Peaks" hat er sich bei der Darstellung einer Kleinstadt als metaphysischer Hölle vermutlich anregen lassen. Knapp ein Jahr nach "2666" ist nun aus dem Nachlass des Schriftstellers ein weiteres Werk in deutscher Sprache erschienen, ein sehr, sehr schmales diesmal, das trotzdem als Roman daherkommt, als "Lumpenroman" (Hanser, 112 Seiten, 14,90 Euro). Die Geschichte wird von einem Mädchen namens Bianca erzählt, das nach dem Unfalltod der Eltern mit seinem Bruder zusammenlebt und zunehmend moralisch verwahrlost. Man kann das, wie es der Buchumschlag empfiehlt, als Satire auf unsere von Gewalt dominierte Kultur lesen, aber wirklich komisch ist das Buch nicht. Es steckt vielmehr, trotz der klaren Sprache des Autors, voller Unheimlichkeit. Ein Quantum Trost vermittelt der erste Satz, in dem Bianca mitteilt, dass sie ins normale Leben zurückgekehrt ist: "Jetzt bin ich Mutter und auch eine verheiratete Frau, aber vor gar nicht langer Zeit war ich eine Kriminelle."