Als eines der abscheulichsten Verbrechen der deutschen Kriminalgeschichte verzeichnet die Polizei den Fall des Schülers Tristan Brübach aus Frankfurt-Höchst. Dem 13-Jährigen schnitt vor nunmehr zehn Jahren ein anonymer Schlächter den Hals bis zur Wirbelsäule durch, verstümmelte die Geschlechtsteile der Leiche, trennte fachmännisch Fleisch aus Gesäß und Schenkel … Keiner weiß, wer’s war. Vor ungeklärten Mordfällen wie diesem halten wir den Atem an: Wie kam Uwe Barschel zu Tode? Wer erstach den Findling Kaspar Hauser? Warum und von wessen Hand musste die Kurtisane Rosemarie Nitribitt sterben? Und sollen wir wirklich annehmen, dass Jack the Ripper aus der britischen Königsfamilie stammte? Auf so mysteriöse Stoffe stürzen sich Roman- wie Sachbuchautoren, ebenso Filmregisseure gern. Heute vor sechzig Jahren ließ in Südaustralien ein Mann Mitte vierzig sein Leben, bei dem noch nicht einmal die Identität feststeht. Den „Somerton-Mann“ nennt man das Opfer, weil er tags zuvor am Somerton
Beach von Adelaide erschienen war und ebendort am 1. Dezember 1948 aufgefunden wurde, von einem Unbekannten liquidiert, mit Hilfe eines unbekannten Gifts. Als ein geheimnisvoller Koffer und ein Band voll persischer Gedichte mitsamt einem undechiffrierbaren Code auf dem Einband auftauchten, verklausulierte sich die Affäre nur noch mehr. Von derlei Vorfällen erfahrend, überfällt uns oft ein gar nicht mal so unangenehmer Schauder: In wohliger Sicherheit genießen wir das Grauen vor einer fernen Gewalt und gefallen uns in Zweifeln an der sittlichen Weltordnung; in Wahrheit lassen wir uns untergründig von der Unschlagbarkeit des Bösen durchaus auch faszinieren. Freilich holt uns ein Fall wie der des jungen Tristan aus allen Traumtänzereien zurück in die Wirklichkeit von Mitleid und Empörung: Noch immer läuft der Täter frei herum; um einen alten Filmtitel umzumünzen: Die Mörder sind unter uns.