Wunsiedel - Namen sind Schall und Rauch. Krapp heißt der Greis. Aber der Name fällt nie. Schriftsteller war er einst - oder wollte er mal werden -, doch die Jahre haben so etwas wie einen Clown aus ihm gemacht. Krapp kann damit leben.

Schall und Rauch: Es mag Zufall sein, dass ein Künstler, der Altmann heißt, den alten Mann spielt. Michael Altmann, 71 Jahre: Auf der Wunsiedler Naturbühne wirkt er zurzeit im Volksstück "Glaube und Heimat" mit; am Mittwoch eröffnete er als Krapp in Samuel Becketts "Das letzte Band" viel beklatscht die Reihe "Luisenburg-Xtra" im recht gut besuchten Museumshof. Ein Monodrama - siebzig Minuten lang agiert er allein auf kleiner Bühne.

Denn Krapp lebt nur mit sich. Aber er schweigt sich nicht an. Er pflegt Austausch mit seinen Erinnerungen. Die hat er, der Schriftsteller, der vielleicht nie einer war und längst keiner mehr ist, statt in Tagebüchern auf Tonbändern gespeichert. In sie hört er sich, wenn's ihm einfällt, hinein. Bis es ihm einfällt, zaubert er Bananen aus der Tischschublade und aus der Schale hinein in die Westentasche und in den Mund. Die Zähne fehlen, aber Bananen kann er noch beißen. Auch sonst fehlt manches: alles, was irgendwie mit properer Lebensführung, Kultiviertheit, bildungsbürgerlicher Politur zu tun hat. Und es fehlen Erlebnisse. Jahrzehnte liegen die letzten zurück: der Tod der Mutter; oder, mit einer nackten Geliebten auf schaukelndem Wasser, ein paar poetische Momente, die das Tonband freilich, beim dritten Anhören, "hoffnungslos und verfehlt" als "Abschied von der Liebe" entlarvt.

Krapp, ein in Nichts aufgelöstes Individuum, verfügt über ein Gedächtnis, für das er einer Maschine bedarf; ihr hört er wie einem Fremden, Anderen zu; aber da ist niemand, nur er selbst: Er ist Niemand. Und die Worte sind nichts: Längst haben sie den Geist aufgegeben. "Spuuuuuule": Laute Laute jaulend, versagt Krapp ihnen den Sinn. Als er sein letztes Band bespricht, nimmt er für Augenblicke versehentlich sogar sein Schweigen auf.

Eine Clownstype mit zerzausten Haaren und einem Hemd, das ihm schlampig aus Bund und Schlitz der schäbigen Hose hängt. Was könnte an so einem zum Lachen sein? Michael Altmann gibt den Krapp nicht als lächerlichen Loser der Schadenfreude preis. Er zeigt, was das Dasein von ihm übrig ließ - eine traurige Gestalt, lustig aufgebrochen mit Mitteln des Komödiantentums, der simplen Komik gar, wenn er mit zwei speichelfeuchten Fingern untersucht, ob denn Spannung auf der Steckdose sei. Gruseln lässt Altmann einen vor Krapps grotesken Zügen und lachen über seine Ungeheuerlichkeit.

Am Zahn der Zeit biss er sich die eigenen Zähne aus beim Versuch, die "Spreu" seines vergehenden, vergangenen Lebens vom "Weizen" zu trennen. Der schien ihm zu blühen, als "noch Aussicht auf Glück bestand". Merkwürdig, mehr von jenem Glück als vom Unglück eines aus der Zeit Gefallenen spielt in Altmanns Gesicht; und es sagt mehr als seine Worte.

Durch Falten scharf und tief zerklüftet, sieht es aus wie die Züge einer bäuerlichen Bildschnitzerei. Zum Aufschrei öffnet es sich, verzieht sich grimassierend zum verschlagenen Grinsen, ballt sich zusammen vor Grimm, umwölkt sich staunend, glänzt auf beim Gedanken an eine "Erleuchtung", dunkelt ein, weil sich im Gedächtnis kein "Wunder" findet ...

Das gespitzte Ohr an den Lautsprecher der Bandmaschine gelegt, mit geöffneten Lippen trinkt er die Worte dessen, der er als 39-Jähriger war. Und gibt dann, auf dem letzten Band, zu Protokoll: "Hörte mir soeben das Arschloch an, für das ich mich vor dreißig Jahren hielt."

Ein Clown. Ein Narr? "Gott sei Dank ist das alles vorbei." Das alles: die Hoffnung, ein Jemand zu sein, bevor er niemand mehr ist. Das letzte Band, mit der Erinnerung an die Erinnerungen, wirft er den Bananenschalen hinterher in den Müll. Einmal, wartend, liegt er versteinert im Stuhl, ein paar Finger regen sich noch, doch der Kopf, mit klaffendem Mund, ist schon der eines Toten.

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Weitere Aufführungen am 23. und 31. Juli sowie am 6. August um 20 Uhr.

Altmanns Krapp

... hatte Ende der 1980er-Jahre am Düsseldorfer Schauspielhaus seine gefeierte Premiere: "Ein Schauspielertriumph", jubelte damals die FAZ, "konzentriert und hochexpressiv, großartig differenziert".

1992 zog der Künstler mit dem Stück auf dem europäischen Wanderweg von Flensburg bis nach Genua. In Kiel (2001) und Breslau (2004) gewannen Altmann und seine Regisseurin Gabriele Jakobi mit der Produktion Preise auf internationalen Monodrama-Festivals. In der endenden Saison stand Altmann mit dem Beckett-Klassiker neuerlich auch in Duisburg auf der Bühne. (Quelle: Theater Duisburg.)