Deutschlands bekanntester Rechtsmediziner heißt Karl-Friedrich Boerne, ist Professor und am "Tatort" in Münster tätig. Eine fiktive Figur also, grandios und gewitzt gespielt von Jan Josef Liefers: ein Liebling des breiten Publikums. Aber mit dem, was wirkliche Rechtsmediziner in ihrem Berufsalltag tun, hat das vergnügliche Treiben von Boerne alias Liefers - stets in Kooperation mit Kommissar Thiel (Axel Prahl), dem er in Hassliebe verbunden ist - wenig gemein. Dass man durch die "Krimischwemme" im deutschen Fernsehen einen weitgehend falschen Eindruck von den Inhalten der forensischen Medizin gewinne, schreibt Elisabeth Türk, die zehn Jahre lang als Ärztin im Fach Rechtsmedizin gearbeitet hat, im Vorwort eines hochinteressanten Taschenbuches mit dem schlichten Titel "Die Gerichtsmedizinerin" (rororo, 8.99 Euro); das sehr Spannende, das da berichtet wird, deutet der Untertitel an: "Wie die Wissenschaft Verbrecher überführt". Überführen könnte, müsste es zutreffender heißen. Denn die Autorin beklagt auch, dass der Rechtsmedizin in Deutschland nur geringe Achtung entgegengebracht wird, mit der Folge, dass potenzielle Täter hierzulande die Möglichkeit haben, "zum Beispiel Giftmorde zu begehen, die kein Arzt der Welt beim ersten Anschein entdecken kann". Tatsächlich, meint Türks Co-Autor Ulf G. Stuberger, ein Justizjournalist, glauben mit der Materie vertraute Wissenschaftler und Publizisten, dass in Deutschland jeder zweite Mord nicht als solcher entdeckt wird: Es sei jährlich mit mindestens 1200 Tötungsverbrechen zu rechnen, die als "natürliche Todesfälle" bezeichnet werden. Ändern könne sich das nur - und wir alle könnten uns sicherer fühlen -, wenn die Rechtsmedizin mehr Gebäude, Mittel und eine bessere personelle Ausstattung erhalte. Freuen wir uns, dass wenigstens dem Professor Boerne im "Tatort Münster" reichlich Zeit zur Verfügung steht, so viel sogar, dass er sich über seine wahren Aufgaben hinaus immer wieder - unbefugt - in die polizeiliche Ermittlungsarbeit einmischen kann.