Die Lilie ist weiß. Sidney Poitier ist schwarz. Für seine Hauptrolle in "Lilien auf dem Felde" erhielt er am morgigen Sonntag vor fünfzig Jahren den Oscar - seinen ersten; und den ersten, den ein Farbiger als bester Hauptdarsteller entgegennahm. Die Lilien - das sind in Ralph Nelsons (übrigens in Schwarzweiß gedrehter) Komödie fünf Nonnen. Einst entfloh das hellhäutige Damenquintett der realsozialistischen DDR in den Südwesten der Vereinigten Staaten. Im Wüstenstaub von Arizona betreibt es tapfer eine Farm. Als zufällig Homer auftaucht, sieht er sich wie ein Gottgesandter aufgenommen. Nach etlichen vergnüglichen Widerborstigkeiten lässt er, Baptist wie viele Schwarze und damit Protestant, sich herbei, den Ordensschwestern eine Kapelle zu errichten. Den Rang des allerersten Preisträgers mit dunkler Hautfarbe kann Poitier dennoch nicht beanspruchen: 1940 durfte sich Hattie McDaniel über die Goldstatuette freuen; die Afroamerikanerin hatte in Victor Flemings "Vom Winde verweht" als Sklavin Mammy geglänzt. Erst 1982 folgte ihr, als männlicher Kollege in einer Nebenrolle, Louis Gossett junior nach, für "Ein Offizier und Gentleman". Wiederum volle neunzehn Jahre später hielt Halle Barry als erste farbige Hauptdarstellerin den Goldjungen in Händen. In der Geschichte der Trophäe nominierte die Academy bislang nur etwa fünfzig dunkelhäutige Schauspieler; gerade mal vier Prozent der Preisträger sind schwarz. Einem von ihnen, dem Briten Steve McQueen (Namensvetter des berühmten weißen US-Schauspielers), wurde im März der Oscar für den
Besten Film zuteil: Geradezu zeichenhaft handelt "Twelve Years a Slave" von einem freien Amerikaner, den Menschenhändler als "Nigger" von New York auf eine Plantage nach Louisiana verschleppen, wo er zwölf Jahre lang Zwangsarbeit und Quälereien erdulden muss. Der Regisseur widmete die Auszeichnung allen Sklaven der Geschichte und den 21 Millionen, die heute als
Leibeigene missbraucht und ausgebeutet werden.