Wer hier nicht von Kunst sprechen wollte, hatte keine Ahnung von der seelischen Fülle, die sich in den Bildern der Schizophrenen barg. Dem voreiligen "Ignoramus" - so viel wie: Das geht uns nichts an - setzte Hans Prinzhorn trotzig ein "Sic volumus" entgegen: So wollen wir's haben. Denn der Psychiater war davon überzeugt, dass "ungeübte Geisteskranke nicht selten Bildwerke schaffen", die in "engster Verwandtschaft zu der Kunst unserer Zeit" stünden. Die nämlich, so schrieb er 1922, "besteht und beruht darauf, dass sie in ihrem Drange nach Intuition und Inspiration seelische Einstellungen bewusst erstrebt und hervorzurufen sucht, die zwangsläufig in der Schizophrenie auftreten." Von 1919 an war Prinzhorn, der heute vor 125 Jahren im westfälischen Hemer zur Welt kam, in der Psychiatrischen Universitätsklinik in Heidelberg tätig. Dort nahm er sich einer Sammlung mit künstlerischen Blättern und Objekten an, die Patienten geschaffen hatten. Er ordnete sie, vergrößerte sie beträchtlich und wandte die Untersuchungsmethoden seines Fachs ebenso wie die der Kunstwissenschaft darauf an. 5000 Malereien und zeichnerische Arbeiten, Skulpturen und Objekte gehören zu der Kollektion, die nirgends ihresgleichen findet. Gemeinsam mit Wilhelm
Fraenger legte Prinzhorn nach drei Jahren ein Buch vor, das sogleich Furore machte: Bei der Lektüre der "Bildnerei der Geisteskranken" gingen vielen gesunden Bildkünstlern die Augen über - in den fantastischen Sujets, in der von Schul- und Stilvorgaben ganz unbelasteten Ausführung erkannten sie viel von dem, das sie selbst bewegte. Namentlich die Surrealisten ließen sich inspirieren. Die Nationalsozialisten nicht: Als "entartet" und "krankhaft" verwarfen sie die Bilder. Gleichwohl ging die Sammlung nicht verloren. Die Hoffnung des - 1933 gestorbenen - Hans Prinzhorn erfüllte sich: Eine "zukunftsfrohere, lebensvollere, instinktsicherere Generation" weiß sie heute sehr zu schätzen.