Rom - Als Johann Wolfgang von Goethe zwei Monate nach seiner überstürzten Abreise aus Deutschland 1786 inkognito in Rom ankam, stieg er unter falschem Namen bei seinem Malerfreund, Johann Heinrich Wilhelm Tischbein ab. In dessen Wohnung an der zentralen Via del Corso bildeten die beiden fortan eine ungleiche Künstler-Wohngemeinschaft. Von dort aus unternahmen sie zahlreiche Ausflüge, um Gebäude und Landschaften zu zeichnen.

Unter Anleitung Tischbeins verfeinerte der Dichter seine Maltechnik so weit, dass ein umfangreiches Werk an Zeichnungen entstand. Die deutsche Starfotografin Barbara Klemm bereiste nun ein Jahr lang die Orte, die Goethe (1749-1832) auf seiner zweijährigen Italienreise gezeichnet hatte. In den Räumlichkeiten der ehemaligen Künstler-WG in der Casa di Goethe zeigt die Fotografin nun 45 Bilder, die anhand einer Auswahl von Goethes mehr als 12.000 Zeichnungen entstanden.
"Vorher hatte ich nicht viel von Goethe gelesen", sagt Klemm sich. Das Projekt auf den Spuren Goethes regte sie zur Lektüre nicht nur der "Italienischen Reise" an.

Als Klemm sich auf der Suche nach dem richtigen Licht ohne Wolken sicherheitshalber für zwei Tage am Gotthardpass in einer Herberge einmietete, bekam sie abends gerade mal ein Zimmer mit Bett, Stuhl und Tisch. Am Morgen nach einem einfachen Mahl hätten die Bewohner der Zimmer sich eine Dusche und eine Toilette geteilt, erinnert die 76-Jährige sich. Dabei war die Herberge im Vergleich zu den Zimmern voller Flöhe, in denen Goethe auf seiner beschwerlichen Reise schlief, noch luxuriös.
"Wir waren voller Hochachtung für das, was er damals an Strapazen auf sich genommen hat", erinnert die Fotografin sich. Glücklicherweise passte das Licht am Gotthard gleich am ersten Tag. So beließ sie es bei einer Nacht in der kargen Herberge.

In Rom angekommen hatte Klemm genaue Vorstellungen, welches Bild das stärkste werden sollte. Doch die Pyramide aus dem zweiten Jahrhundert vor Christus steht heute anders als im 18. Jahrhundert mitten in der Stadt. Überdies war das in der damaligen ägyptischen Mode gehaltene Grabmal aus Carrara-Marmor zu Restaurierungszwecken eingerüstet. Goethes Mond-Bild mit einer frei in der Landschaft stehenden Pyramide ließ sich also nur schwerlich mit dem Blick von heute zeigen.

Mehrmals suchte die Fotografin daher das unterhalb vom heutigen Straßenniveau gelegene Denkmal auf, um die Pyramide von schwarzen Pinien umrahmt und vom Mond schemenhaft beschienen doch noch ohne Autos und moderne Häuser auf das Papier zu bannen. Unbeeinflusst von moderner Digitaltechnik lässt sie ihre in strengem Schwarz-Weiß gehaltenen Bilder weiterhin in langwieriger Arbeit in der Dunkelkammer entstehen. Nur so gelinge es, die starken Kontraste zwischen hell und dunkel zu erreichen, sagt sie.

Die langjährige Fotografin der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" bildet Landschaften mit der gleichen Mischung aus Objektivität und Poetik ab, wie die Persönlichkeiten des Zeitgeschehens, mit denen sie Geschichte der Pressefotografie schrieb. Sie wählte nicht den gleichen Blickwinkel wie Goethe, sondern arbeitete das jeweilige Motiv bewusst mit dem von mehr als 200 Jahren Kunst und Geschichte veränderten Blick des 21. Jahrhunderts heraus.
"Wir sind mit Kunst groß geworden", erinnert sich die Tochter eines Malers. Der Blick der Malerei habe sie geschult. Die gegenständlichen Darstellungen des Vaters seien durch Reduktion immer abstrakter geworden. Ihre Landschaftsdarstellungen zeigen das daraus entstandene Interesse an Licht und Strukturen.