Noch nicht lange, da hatte, wer sich das Leben nahm, noch nach seinem Freitod mit Repressalien zu rechnen. In der Regel weigerte sich die Geistlichkeit, Selbstmörder in der Erde eines christlichen Friedhofs zu bestatten - hatten sie doch das Leben, Gottes Geschenk, eigenmächtig fortgeworfen. Heute denken die meisten Pfarrer und Priester anders. In sogenannter geweihter Erde liegt der Selbstmörder Heinrich von Kleist trotzdem nicht: Heute vor 200 Jahren erschoss er sich - worüber wir vor einigen Tagen auf dieser Seite ausführlich erzählten - am Kleinen Wannsee in Berlin, am Dasein insgesamt gescheitert, zusammen mit einer unheilbar krebskranken Freundin. Wohin mit den Leichen der beiden? Am Ort des Doppelsuizids erhielten sie ihr Grab. Und freilich wollte es die betroffene Mit- und Nachwelt nicht an Ehrerbietung fehlen lassen. 1936, als das braune Berlin sich anschickte, die "Völker der Welt" zu den Olympischen Spielen zu empfangen, nahm man sich auch diesen Gedenkort erneuernd vor: Unter einem Baum, schmiedeeisern umfriedet, wurde ein Stein gesetzt; eine Strophe, darauf eingemeißelt, fasste das Schicksal des Dichters zusammen: "Er lebte, sang und litt / in trüber schwerer Zeit / Er suchte hier den Tod / und fand Unsterblichkeit." Offenbar erst fünf Jahre später fiel Joseph Goebbels, dem nationalsozialistischen Propagandaminister, auf, dass mit Max Ring ein jüdischer Poet die Inschrift für den erzgermanisch vereinnahmten Dichter ersonnen hatte. Also ließ er die Zeilen ausmerzen und durch einen Satz aus Kleists Schauspiel "Prinz Friedrich von Homburg" ersetzen. Nach dem Krieg verfiel das Grab beinah; bis vor zwei Jahren die Kleist-Gesellschaft und die Bundeskulturstiftung versprachen, es abermals zu renovieren. Heute nun, am Todestag, wird die Gedenkstätte wiedereröffnet, neuerlich mit Max Rings Spruch auf der Vorderseite des Steins. Und freilich ist das "Homburg"-Zitat nicht ganz verschwunden. Die Rückseite legt es dem Dichter für sich selbst in den Mund: "Nun, o Unsterblichkeit, bist du ganz mein."