Wie ein Heiliger heißt er, Santiago, und wirklich trägt er Züge Jesu Christi: Bedürfnislosigkeit, weise Milde, dabei Willensstärke. Auf dem Wasser wandeln kann er freilich nicht und auch sonst keine Wunder tun: Als glückloser Fischer hat der alte Kubaner kaum genug zum Leben. Dennoch lässt er sich vertrauend aufs Meer treiben, ein ergebener Mitläufer der Natur, in die er sich mit Liebe und Demut fügt. Dann hängt ihm unverhofft der größte Fisch am Haken. Unter schweren Opfern, nach tagelangem Kampf, gewinnt er ihn – der Fang seines Lebens – und scheitert schließlich doch an den Haien, die ihm die Beute entreißen. Seinen Frieden findet er gleichwohl: in den Tiefen des Schlafs. „Der alte Mann und das Meer“, 1952 erschienen, sollte Teil eines Romans werden, doch beschloss Ernest Hemingway, es dabei bewenden zu lassen: Den Literaturnobelpreis erhielt er dafür auch so. Ganz in den Mitteln epischen Erzählens geht die unerhörte Dramatik des Stoffs auf; dennoch stand Regisseur John Sturges nicht ab, ihn fürs Kino zu verfilmen. Zur Rolle des Santiago taugte wohl keiner besser als der bärbeißig-faltige Spencer Tracy (der denn auch für den Oscar nominiert wurde); aber selbst er vollbrachte das Wunder nicht, mit dem Zweikampf des Menschen gegen die Gewalt der Natur die Leinwand eine ganz Stunde lang allein mit Spannung zu füllen – noch dazu auf einem reichlich unecht aussehenden Studio-Ozean. Heute vor fünfzig Jahren kam der Film in Deutschland heraus und erinnerte an ein anderes, zwei Jahre vorher gestartetes Seestück: an John Hustons „Moby Dick“. Diesem Epos liegt der berühmte Roman Herman Melvilles zugrunde, der 101 Jahre vor Hemingways Novelle erschien. Unterschiede und Gemeinsamkeiten: Auf der Jagd nach dem gefährlichen weißen Wal will Kapitän Ahab, den Satan im zerschundenen Leib, zwar nichts wissen von der frommen Fügsamkeit des armen Santiago. Doch triumphiert am Ende beider Berichte eine Schöpfung, die von Fairness und Unrecht nichts weiß, unüberwindlich über das Handeln, Hadern und Hoffen der Menschen.