Poesie heißt Gedicht, Dichtkunst. Sich Zeit zu nehmen für Lyrik im Besonderen, für die „schöne“ Literatur, das „gute“ Buch ganz allgemein – dazu finden sich nicht eben viele mehr bereit. Denn anspruchsvolles Lesen ist ein Genuss, zu dem die Langsamkeit gehört. Morgen aber schafft die gebildete Welt Platz für dafür: Unter der Schirmherrschaft der UNESCO begeht sie seit dem Jahr 2000 den 21. März als „Welttag der Poesie“. An die „Vielfalt des Kulturguts Sprache und an die Bedeutung mündlicher Traditionen“ soll er gemahnen, desgleichen daran, dass „der Dichtkunst auch im Zeitalter der neuen Informationstechnologien ein wichtiger Platz im kulturellen und gesellschaftlichen Leben zukommt“. Wem dennoch Lust oder Muße zur Lektüre fehlt, hat vielleicht Freude daran, sich an Karfreitag und -samstag via Radio auf gehaltvolle Produktionen erstklassiger Schriftstellerei einzulassen. Dabei muss es nicht zwingend besinnlich und feierlich zugehen. Mit den Schrecken der Unmenschlichkeit hat zu rechnen, wer sich Valerie Stiegeles Hörspiel nach dem „Roman eines Schicksallosen“ zumutet (Deutschlandradio Kultur, Freitag, 18.30 Uhr); denn der autobiografische Nobelpreisroman des Ungarn Imre Kertész platziert ein Kind mitten in den Holocaust und ins Grauen eines Konzentrationslagers. Einen gefangenen Jungen stellt auch Hugo von Hofmannsthal in seiner Tragödie „Der Turm“ (Deutschlandfunk, Samstag, 20.05 Uhr) unter den Druck existenzieller Zwänge, freilich symbolisch, stilisiert: Einen Prinzen hat sein königlicher Vater eingesperrt, weil er Rebellion von ihm befürchtet; zum Unschuldsengel, im reinen Sinn des Worts, wächst der Knabe auf und muss, als er selbst den Thron besteigt, erkennen, dass er Intrige, Krise, Bürgerkrieg nicht vermeiden kann; einem „Kinderkönig“ übereignet er sterbend die Macht, mit der Auflage, sie ohne Gewalt auszuüben. Gut zum „Welttag“ passt jene hochgespannte Utopie – reif resignierend, geistvoll, schön. Ist doch Poesie ein Wort mit mancherlei Bedeutung: Feinheit und Zauber bezeichnet es auch.