Länderspiegel Behinderten droht weniger Lohn

Die Werkstätten für Menschen mit Behinderung werden von der Corona-Krise erfasst. Die Kunden in Oberfranken ziehen ihre Aufträge zurück. Für eine Lösung könnte an diesem Freitag der Bundesrat sorgen.

 
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Bayreuth/Hof/Coburg - 16. März 2020, Corona-Pandemie: Mit Allgemeinverfügungen zum Infektionsschutz fährt Bayern das öffentliche Leben einschneidend herunter. Schulen und Kitas müssen schließen, ebenso die meisten Geschäfte und viele Betriebe, alle Veranstaltungen sind untersagt - und auch in den Werkstätten für Behinderte gehen für Wochen die Lichter aus. "Von einem Tag auf den anderen waren alle unsere 500 Leute weg", berichtet der Leiter der Hochfränkischen Werkstätten in Hof, Franz Müller. "Das war sofort eine sehr angespannte Situation, denn unsere Auftragslage war zu diesem Zeitpunkt sehr gut." Das Risiko: Werden die Aufträge auf längere Sicht nicht bearbeitet, könnten viele der derzeit 86 Kunden im Raum Hof abspringen. Schließlich hätten zunächst die wenigen in den Werkstätten verbliebenen Gruppenleiter und das nichtbehinderte Fachpersonal weitergearbeitet, um dies abzufedern. Dennoch: "Einige Aufträge mussten wir liegen lassen", sagt Müller.

Stärker noch zeigt sich die Dramatik in den Werkstätten für angepasste Arbeit in Coburg. Nicht nur, dass man bis zum 15. Juni - so lange galt das Betretungsverbot in den Werkstätten - kaum Aufträge bearbeiten konnte, jetzt herrscht zusätzlich noch Flaute bei den Kunden. "Wir arbeiten überwiegend für Automobilzulieferer im Bereich Coburg und Kronach. Und durch die konjunkturelle Lage in diesem Segment ist uns die Arbeit zu großen Teilen weggebrochen", berichtet Geschäftsführer und Diakon Franz Schön. Die Gefahr: Die Löhne der behinderten Beschäftigten können nicht mehr auf dem bisherigen Niveau gezahlt werden. "Unsere Leute leisten eine sehr qualifizierte Arbeit und wir bezahlen sie weit über dem Durchschnitt. Aber dafür brauchen wir auch eine vernünftige Auslastung. Wenn es so weitergeht, sind die Werkstattlöhne gefährdet."

Hintergrund: Behinderte Menschen in den Werkstätten verdienen in Oberfranken durchschnittlich 180 Euro im Monat, es gibt aber auch Spitzen bis hin zu 700 Euro. Der Restbetrag bis zum existenziellen Bedarf wird meist über die Grundsicherung abgedeckt. Während die Bezirke einen Großteil der allgemeinen Kosten samt Gehältern für das nichtbehinderte Betreuungs- und Fachpersonal in den Einrichtungen übernehmen, müssen die Löhne der behinderten Beschäftigten aus den Produktionserlösen bezahlt werden. Die Werkstätten sind gesetzlich dazu verpflichtet, mindestens 70 Prozent ihrer Umsätze aus der Fertigung in die Löhne fließen zu lassen. Ebenso ist geregelt, dass sie Rücklagen bilden müssen, um Auslastungsschwankungen ausgleichen zu können. Im Coburger Fall mit hohen, überdurchschnittlichen Löhnen wird dies aber nur für ein halbes Jahr ausreichen. Diakon Schön: "Alles, was über diesen Zeitraum hinausgeht, wird uns in große Schwierigkeiten bringen."

Der Bezirk Oberfranken hat den oberfränkischen Werkstätten mit ihren fast 4000 Beschäftigten in mehreren Gesprächen bereits zugesichert, als Sozialträger in der Corona-Krise die Kosten weiterhin zu tragen. "Wir zahlen erst mal einfach zu 100 Prozent weiter", sagt der Leiter der Sozialverwaltung, Wolfgang Grießinger. Er spricht von einem "Rettungsschirm", der es völlig ausschließe, dass die Behindertenwerkstätten als Betreuungseinrichtungen für behinderte Menschen in existenzielle Schwierigkeiten geraten. Doch diese Gelder haben eben keinen positiven Einfluss auf die Lohnproblematik.

Aktiv für eine Lösung setzt sich die bayerische Landesarbeitsgemeinschaft der Werkstätten für Behinderte (LAG WfbM) ein. Geschäftsführer Peter Pfann möchte möglichst bald mit dem bayerischen Sozialministerium Gespräche starten. "Wir kommen in diesem Jahr sicherlich in einigen Werkstätten in eine Situation, in der die Löhne in Gefahr sind. Das ist total schlimm und das nehmen wir nicht leichtfertig in Kauf." Da auch auf längere Sicht die konjunkturelle Lage nicht absehbar sei, müsse der Staat die Einbußen abfedern. Im Sozialministerium wartet man noch auf eine Entscheidung auf Bundesebene.

Die rechtliche Grundlage für eine staatliche Hilfe kann an diesem Freitag der Bundesrat schaffen. Die Länder-Chefs entscheiden über einen Vorschlag des Bundessozialministeriums: Die Integrationsämter - in Bayern die dem Sozialministerium unterstellten Inklusionsämter - sollen mehr Geld aus der Ausgleichsabgabe (von Unternehmen zu zahlen, wenn sie die Quote von fünf Prozent behinderten Arbeitnehmern unterschreiten) erhalten. Der Bund, dem die Länder sonst 20 Prozent der Ausgleichsabgabe weitergeben müssen, will dafür in diesem Jahr auf zehn Prozent verzichten. Das macht immerhin 70 Millionen Euro frei - und dieser Betrag könnte die Corona-bedingt sinkenden Arbeitsentgelte in den Werkstätten für Behinderte kompensieren.

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