Hof/Kautendorf – Die Entführung eines Anwalts aus Sankt Gallen quer durch die Schweiz und Deutschland ist aufgeklärt. Bei einer gemeinsamen Pressekonferenz bestätigten Leitender Staatsanwalt Gerhard Schmitt und der Leiter der Kriminalpolizei Hof, Jürgen Schlee, dass die beiden Entführer festgenommen wurden. Damit bestätigten sie Recherchen der Frankenpost, die bereits am Dienstag über die Festnahme zweier Männer berichtet hatte.
Warum die beiden 21- und 23-jährigen Tschechen ihr Opfer gerade bei Kautendorf ausgesetzt hatten, ist jedoch weiter unklar. Auch zum Motiv konnten weder Schlee noch Schmitt Auskünfte geben. Fest steht nur: Einer der Täter wurde per Satellitenortung in Krovi nahe Brünn im südlichen Tschechien dingfest gemacht. Der ältere stellte sich nach der Tat in Pirna bei Dresden. Warum dort? „Das wird wohl sein Geheimnis bleiben“, sagte Schlee. Den Männern droht eine fünf bis 15 Jahre lange Haftstrafe wegen Geiselnahme und schwerer räuberischer Erpressung.

Die gut neunstündige Odyssee des Thurgauer CVP-Politiker André Schlatter begann am Samstagmorgen gegen 10 Uhr in einem Parkhaus in Sankt Gallen. Er sei dort Dauerparker und wollte sein Auto holen, um ins Büro zu fahren, sagte das Opfer in einem Interview mit der Schweizer Zeitung Tagblatt. Nachdem er seine Jacke vom Rücksitz genommen hatte und losfahren wollte, hielt ihm ein junger Mann eine Pistole vor. Er solle aussteigen und hinter dem Fahrersitz Platz nehmen. Der zweite Täter setzte sich neben Schlatter auf die Rückbank des BMW 530 d.
Der renommierte Anwalt sei ein Zufallsopfer, heißt es von der Staatsanwaltschaft. Die Überwachungskameras im Parkhaus hätten gezeigt, dass sich die Täter kurz vor ihrer Tat auf eine Frau zubewegten, die in ihr Auto steigen wollte. Dieses Kidnapping misslang nur, weil just in diesem Moment ein anderes Auto vorbeifuhr. Dies widerlege die Vermutung, dass Schlatter ausgesucht wurde. Die Täter hatten es nur auf den Wagen abgesehen. Sie wollten mit Schlatterer als Halter des Wagens sicher über die Grenze kommen. Schmitt beendete auch das Gerücht, dass Schlatter Millionär sei.

Gerüchte, wonach der 53-Jährige offene Rechnungen bei osteuropäischen Firmen hat, dementierte Staatsanwalt Schmitt. André Schlatter ist außerdem noch Gesellschafter bei mehreren Firmen in der Schweiz. Die beiden Tschechen, die ihm erzählten, sie würden von der russischen Mafia verfolgt, waren tatsächlich zufällig in jenem Parkhaus.
Die beiden Täter fuhren zunächst über Zürich, wo sie laut Jürgen Schlee im Letzi-Park, einem Einkaufszentrum, mit der Geldkarte des Anwalts Bares abhoben. An einem Rasthof bei Eglisau in der Schweiz stoppten die Täter erneut, um zur Toilette zu gehen und sich mit Proviant einzudecken. Sie hätten ihn, Schlatter, sogar gefragt, was er essen und trinken wolle, sagt das Opfer, das sich zu einem Interview entschloss, um dem ganzen Medienhype ein Ende zu setzen.
An der Rastanlage wurden Täter und Opfer von Kameras gefilmt. Anschließend passierten sie die Grenze nach Deutschland und setzten die Reise über Stuttgart und Nürnberg in Richtung deutsch-tschechischer Grenze in Richtung Klingenthal/Hranice fort. Auf Höhe von Hof entschieden sich die Gangster, doch in Richtung Marktredwitz weiterzufahren, um von dort aus ins tschechische Cheb zu gelangen.

André Schlatterer konnte den Verlauf der Fahrt sehr genau beschreiben, erzählten die Ermittler am Mittwochnachmittag. Ihm gehe es erstaunlich gut, sagte der Anwalt. Nur der Medienrummel nerve ihn.
Warum die beiden Tschechen ihn plötzlich bei Kautendorf freiließen, kann er auch Tage später im Gespräch mit Schweizer Journalisten nicht nachvollziehen.

Die Täter seien sehr nervös gewesen, erzählt der Schweizer. Die Situation am Waldrand bei Kautendorf sei sehr komisch gewesen. „Der eine hatte die Pistole noch in der Hand, richtete sie aber nicht auf mich. Ich dachte mir, jetzt musst du Abstand nehmen. Aus dem Militär weiß ich (Schlatter ist Militär-Oberst): Im Dunkeln trifft man mit einer Neun-Millimeter-Pistole nicht gut, wenn die Zielperson auf Distanz geht und sich bewegt. Ich lief also etwa 30 Meter über einen Acker. Der eine folgte mir ziemlich schnell. Da wurde mir klar: Wegrennen kann ich nicht“ sagte der Anwalt dem Tagblatt. Anschließend hätten die Täter ihm befohlen, er solle zwei Stunden warten, bis er die Polizei ruft.
Der Anwalt legte nach der Flucht der Kidnapper seinen Laptop und seine Jacke an einen Baum. Anschließend lief er über einen Acker nach Kautendorf, wo er am Haus von Andrea Dietel und Uwe Hertel klingelte und um Hilfe bat. Die Frau hätte ihm zunächst nicht geglaubt und wollte ihn nicht telefonieren lassen. Wenig später hätte sie ihm geglaubt und die Polizei gerufen.

Die Familie des Schweizers erfuhr erst dreieinhalb Stunden nach dem Vorfall im Parkhaus vom Verschwinden. Schlatter durfte seiner Frau gegen 13.30 Uhr eine SMS schreiben, erzählt er. Der Komplize auf der Rückbank hätte dies kontrolliert. Dass es sich um eine Entführung handelt, durfte er nicht schreiben. „Also schrieb ich: Muss ins Ausland, kann nicht sprechen.“ Seine Frau schickte Fragenzeichen zurück.