Länderspiegel Leben statt nur überleben

Ob Frühchen oder kranke Kinder: Mitarbeiter des Bunten Kreises begleiten die Eltern von Anfang an. Sie versuchen, in der betroffenen Familie Rahmenbedingungen für ein normales Leben zu schaffen. Foto: Bundesverband Bunter Kreis e.V. Quelle: Unbekannt

Der Bunte Kreis unterstützt Familien, die behinderte oder schwer kranke Kinder haben. Zunächst geht es darum, in den Alltag zu finden. Dann, ein Netzwerk aufzubauen.

 
Schließen

Diesen Artikel teilen

Hof/Bayreuth - Zwei Monate zu früh kommt Ilja als Zwilling im Hofer Klinikum auf die Welt. "Irgendetwas stimmt mit Ihrem Kind nicht", sagt ein Arzt bald nach der Geburt. Was genau mit dem Jungen los ist, wissen die Ärzte nicht. Um das herauszufinden, wird Ilja an die Uniklinik in Erlangen verlegt. Experten in Erlangen forschen nach. Nach wenigen Wochen steht fest: Der Junge hat ein extrem seltenes Syndrom. Epilepsie, Fehlbildungen, Atemprobleme, geistige Behinderung sind die Folgen. Ilja bekommt eine Magensonde, weil er nicht schlucken kann. Und dann erfahren die Eltern: Ilja wird wohl nicht lange leben. Eine Laune der Natur, ein Schicksalsschlag für die ganze Familie.Wie soll das Leben nun weitergehen?

Der Bunte Kreis vernetzt und informiert

Der Bundesverband Bunter Kreis mit Sitz in Augsburg organisiert, in- formiert, fördert und vernetzt bundesweit mehr als 80 Nachsorge-Einrichtungen in ganz Deutschland.

Bis November 2014 war der Paritätische Wohlfahrtsverband Träger des

Bunten Kreises Bayreuth. Seit 2014 ist das eine Einrichtung des Klinikums. Leiter ist der Chefarzt der Kinderklinik, Prof. Thomas Rupprecht.

2009 haben die gesetzlichen Krankenversicherungen Nachsorge als

Regelleistung anerkannt. Damit ist jedoch erst ein Teil der Kosten finanziert. Die Nachsorge-Einrichtungen sind gezwungen, weitere Finanzierungsquellen zu aktivieren, wie Spenden oder Mitgliedsbeiträge.

Weitere Infos finden Sie hier:

www.klinikum-bayreuth.de

www.bunter-kreis-deutschland.de

Jedes Jahr sind mehr als 40 000 Familien in Deutschland damit konfrontiert, dass ihr Kind zu früh geboren wird, schwer erkrankt, einen Unfall hat oder stirbt. Physische, psychische, soziale und finanzielle Belastungen sind die Folgen. Meist sind sie auf die neue Situation nicht vor-bereitet, stehen unter Schock und wissen nicht, wie das Leben weitergehen soll. In dieser Situation kommt der Bunte Kreis den Familien zur Hilfe.

Der Bunte Kreis ist eine sozialmedizinische Nachsorge-Einrichtung am Klinikum in Bayreuth. Ziel der Mitarbeiter es, den Familien beim Übergang vom stationären Aufenthalt in der Kinderklinik nach Hause zu helfen und den Alltag zu bewältigen. "Die Nachsorge wird bereits in der Klinik angebahnt", erklärt Barbara Koch. Sie ist Kinderkrankenschwester und Koordinatorin im Bunten Kreis. Weitere sieben Mitarbeiter gehören zum interdisziplinären Team: fünf Krankenschwestern, eine Psychologin, eine Sozialpädagogin und ein Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin.

Die Aufgaben des Teams sind viel-fältig. "Wir wollen den Eltern zu Hause Sicherheit geben und ihre Kompetenz im Umgang mit ihren Kindern stärken, damit es so selten wie möglich zu Folge-Aufenthalten in der Klinik kommt", erklärt Koch. Dazu gehören etwa pflegerische Aufgaben. "Frühchen sind oft so klein, dass die Eltern Angst haben, sie zu wickeln", erklärt Barbara Koch. Kranke Kinder haben eine Magensonde, benötigen Sauerstoff, Medikamente oder einen Überwachungsmonitor. In der Klinik geben Krankenschwestern und Ärzte Sicherheit. Zu Hause müssen die Eltern alleine zurechtkommen.

So geht es auch Iljas Familie, als der Junge nach drei zermürbenden Monaten in der Klinik endlich entlassen wird. Seine Eltern und die zwei Geschwister freuen sich, dass der Alltag endlich beginnen kann. "Wir haben nach und nach eine halbe Intensivstation mit einem Überwachungsmonitor, einem Sauerstoffgerät, einem Absauggerät, Spritzen und Medikamenten zu Hause aufgebaut", sagt der Vater. "Barbara Koch hat uns in der schweren Anfangszeit unterstützt. Ohne sie wären wir verloren." Die Krankenschwester besuchte die Familie regelmäßig und nach Bedarf. Sie half im Umgang mit der Magensonde und den Medikamenten. Sie klärte die Eltern über Frühförderung, verschiedene Therapien und Fachärzte auf und unterstützte die Familie bei der Suche eines Kinderkrankenpflegedienstes. Die Eltern fühlten sich zunehmend sicherer und schöpften Hoffnung auf ein halbwegs normales Leben. Nun ist Ilja zwei Jahre alt und muss nur noch selten in die Klinik.

Werden die betroffenen Familien nicht in der Nachsorge aufgefangen, entstehen viele gesellschaftspolitische Probleme. Die Gefahr von Fol-ge-Krankheiten und Spätkomplikationen steigt. Vor allem die Mütter sind häufig chronisch überfordert.

Krankheiten und Behinderungen verändern aber nicht nur das Familienleben, sondern auch das Netzwerk der Familien. Großeltern oder Nachbarn ziehen sich zurück, weil sie emotional überfordert sind. Statt deren Hilfe müssen Eltern andere Dienste in Anspruch nehmen. Das hat auch Folgen für die Gesellschaft: erhöhte Kosten im Gesundheitswesen, Eltern, die nicht mehr arbeiten können oder selbst erkranken.

"Oft sind die Eltern komplett überfordert, auch psychisch," sagt Barbara Koch. Eine Psychologin des Bunten Kreises steht ihnen dann zur Seite. Sie versucht, den Druck aus der Situation zu nehmen; sie hilft, mit den Diagnosen umzugehen oder bei der Trauerbewältigung. "Mit gleichen Problemen kommen unterschiedliche Menschen unterschiedlich zurecht. Kommt ein Kind in der 28. Schwangerschaftswoche zur Welt, sind manche Eltern froh, ein halbwegs gesundes Kind zu haben. Für andere bricht eine Welt zusammen. Sie fragen sich, was sie falsch gemacht haben." Diesen Eltern müsse man über Jahre helfen, damit sie stabiler werden.

Diese Stabilität sei zum Beispiel mit festen Strukturen zu erreichen. Um diese aufzubauen, bekommen Eltern sozialrechtliche Hilfe: eine Sozialpädagogin des Bunten Kreises berät beim Ausfüllen der Anträge oder sucht nach Unterstützung in der Gemeinde, der Familie und im Freundeskreis der Familie.

Pro Jahr betreut der Bunte Kreis im Schnitt 60 Familien. Das Einzugsgebiet ist groß und reicht über ganz Oberfranken bis hinein nach Thüringen und in die Oberpfalz. In Bamberg, Coburg und Schweinfurt läuft der Aufbau der Nachsorge auf Hochtouren; Erlangen, Nürnberg, Fürth, Weiden und Amberg haben auch bereits sozialmedizinische Nachsorge nach dem Modell Bunter Kreis.

Mittlerweile gehört diese Nachsorge zur Regelleistung gesetzlicher Krankenkassen. Sie übernehmen in der Regel 20 Stunden in zwölf Wochen nach der Entlassung aus der Klinik. "Falls die Familie uns länger braucht, lassen wir sie nicht im Stich", sagt Koch. In so einem Fall springt der Förderverein des Bunten Kreises ein.

Die Nachsorge werde immer wichtiger, sagt Koch. Medizinische Fort-schritte haben dazu geführt, dass trotz abnehmender Geburtenzahlen die Anzahl der Kinder und Jugendlichen mit Krankheiten und erhöhtem

Versorgungsbedarf zunehme. Extreme Frühchen überleben, Kinder mit chronischen Krankheiten erreichen das Erwachsenenalter. Dann geht es nicht mehr um das Überleben, sondern um die größtmögliche Lebensqualität für das betroffene Kind, die Eltern und die Geschwister.

So ist auch Iljas Familie mittlerweile in einem Netzwerk aufgefangen. Dazu gehören ein Kinderkrankenpflegedienst, Fachärzte im Sozialpädiatrischen Zentrum in Bayreuth und die Fördergruppe der Krippe im Therapeutisch-Pädagogischen Zentrum in Hof. "Trotz aller Schwierigkeiten und Probleme: Wir sind gut in unsrerem besonderen Alltag angekommen", sagt der Vater.

Autor

Bilder