Länderspiegel "Was jetzt passiert, hat eine neue Qualität"

Warum versperren Neugierige Rettern den Weg? Psychologin Dr. Silvia Oßwald-Meßner vom Fachbereich Polizei an der Hochschule für den Öffentlichen Dienst in Fürstenfeldbruck, erklärt es.

 
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Frau Dr. Oßwald-Meßner, was macht Menschen zu Schaulustigen?

Das ist eine Grundeigenschaft von uns Menschen: Wir sind einfach neugierig. Das muss erst einmal noch nichts Schlechtes sein. Wir wollen etwas Neues sehen, uns in Maßen gruseln. Menschen mögen einen gewissen Thrill. Deshalb schauen sie Horrorfilme, fahren Achterbahn oder üben Fallschirmspringen. Das Gaffen vereint diese Grundbedürfnisse nach Außergewöhnlichem, Aufregendem.

Bei manchen Menschen geht das aber so weit, dass sie etwa bei Unfällen nicht nur gucken, sondern Polizei und Rettungskräfte behindern.

Was jetzt passiert, hat tatsächlich eine neue Qualität. Das kann ich auch nicht allein mit der Sensationslust der Menschen erklären. Wenn Menschen nur schauen, was da los ist, schaden sie ja noch niemandem. Wenn sie aber die Rettungsgasse verstellen, Rettungskräfte an ihrer Arbeit hindern oder sie sogar beschimpfen, schaden sie den Unfallopfern auf jeden Fall aktiv. Dieses Verhalten hat auf jeden Fall zugenommen.

Warum scheinen hier die Regeln des guten Umgangs miteinander zu versagen?

Ich denke, dass viele Menschen nicht darüber nachdenken, ob das, was sie machen, gut oder schlecht ist. Die Situation zieht sie völlig in ihren Bann. Die Gruppendynamik tut das Ihrige dazu. Wir Menschen sind so gepolt, dass wir uns an der Gruppe orientieren. Wenn alle gucken, machen wir das auch.

Das klingt ja ziemlich pessimistisch ...

Es ist auch nicht die einzige Konstante, die uns Menschen ausmacht. In uns verankert ist auch das Bedürfnis zu helfen. Nur ist die Neugierde in solchen Situationen oft stärker. Exzessive Gaffer leiden wahrscheinlich an einem Mangel an Einfühlungsvermögen. Sie können sich schlecht in die Situation anderer Menschen hineinversetzen. Leider verhindern sie mit ihrem Verhalten manchmal schnelle lebensrettende Hilfe.

Wie bewerten Sie die Rolle der sozialen Medien in diesem Zusammenhang?

Das Verbreiten von Fotos und Videos, zum Beispiel von Unfällen, hat zugenommen, weil praktisch jeder heute die technische Möglichkeit dazu hat. Und dann sind wir als Nutzer der sozialen Netzwerke natürlich auch schuld. Denn solche Fotos und Videos werden durch Klicks, Likes und Kommentare immer noch honoriert, nicht sanktioniert. Was wir brauchen, ist die Verurteilung von Gaffern, die Polizei und Rettungskräfte behindern und das Leid der Opfer ins Internet stellen.

Wie soll das konkret geschehen?

Wir brauchen härtere Strafen und Aufklärungskampagnen, was bei Unfällen und Katastrophen zu tun ist. Aber auch die Gesellschaft muss nachziehen. Wir müssen uns einig sein, dass wir keine Gaffer wollen, die die Arbeit der Einsatzkräfte stören. Die Polizei sollte auch nicht alleine mit Gaffern diskutieren müssen. Wer Gaffer sieht, der sollte sie von sich aus zurechtweisen.

Das Gespräch führte Gertrud Pechmann

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