Länderspiegel "Wir sind am Limit"

Medizinische Fachangestellte stehen in Zeiten von Corona extrem unter Druck. Neben Patienten, die wenig Verständnis für die neuen Regeln haben, belastet immer mehr Bürokratie den Alltag.

 
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Herr Thumser, immer mehr Medizinische Fachangestellte (MFA) beklagen sich zum Beispiel in Fachforen darüber, dass speziell in der Corona-Krise die Achtung vor ihrem Beruf verloren geht. Was ist da los in den Praxen?

Zur Person

Bastian Thumser, 27, ist Bezirksstellenleiter Bamberg des Verbandes medizinischer Fachberufe e.V. und arbeitet selbst als MFA in einer Praxis im Landkreis Haßfurt.


Wir MFA bekommen nicht die nötige Wertschätzung, die wir verdienen. Das beginnt bereits mit unserer Berufsbezeichnung. Seit 2006 sind wir weder Arzthelferinnen oder -helfer noch Sprechstundenhilfen - sondern Medizinische Fachangestellte. Die Patienten werden auch immer fordernder. In meiner Praxis ist es so, dass wir eine Maskenpflicht haben und Begleitpersonen nur in begründeten Ausnahmefällen zulässig sind. Zusätzlich müssen alle Patienten vor der Praxistür warten, bis wir ausreichend Platz im Wartezimmer haben, da aufgrund der Abstands- und Hygieneregeln nur eine begrenze Anzahl an Patienten die Praxis betreten darf.

Und wo ist da das Problem?

Es werden ständig Diskussionen geführt, bei denen wir auch oftmals beleidigt werden, weil wir uns an die Vorgaben halten und von unserem Hausrecht Gebrauch machen. Sehr belastend für uns MFA ist der tägliche Telefonterror. Wir versuchen nach Möglichkeit, jedes Gespräch anzunehmen, aber auch wir haben nur zwei Hände und können uns nicht zerteilen. Aktuell bräuchten die Praxen ein eigenes Callcenter für die Terminvereinbarungen, was nebenbei an der Anmeldung gemacht wird. Während wir vor Corona die Termine relativ zügig am Telefon vergeben konnten, müssen wir aktuell darauf achten, dass nicht zu viele Patienten zeitgleich in den Räumlichkeiten sind, den Patienten erklären, dass für gewisse Untersuchungen ein Coronaabstrich (inklusive zusätzlichem Termin) bei uns vorgeschrieben ist und nebenbei auch noch dafür geradestehen, dass es derzeit Lieferengpässe beim Grippeimpfstoff und dem Pneumokokkenimpfstoff gibt. Sobald wir ein Telefonat beendet haben, haben wir den nächsten Patienten am Ohr und oft noch weitere in der Warteschleife. Die Patienten, die vor der Tür warten, klingeln dann leider nicht nur einmal, auch wenn wir an der Gegensprechanlage um einen Moment Geduld gebeten haben.

Gibt es dafür nicht die Gesundheits- und Ordnungsämter?

In der Realität müssen wir MFA den Patienten Informationen geben, wie sie sich zu verhalten haben, wenn der Kontakt zu einem positiv auf Corona getesteten Menschen bestanden hat, da die Hotlines der Gesundheitsämter überlaufen sind. In einer Facebookgruppe habe ich auch erfahren, dass es bereits in manchen Praxen zu Übergriffen gegen Kollegen und Kolleginnen kam. Wir MFA sind am Limit.

Wird die Bedeutung der

Praxen und ihrer Mitarbeiter in der Corona-Krise unterschätzt?

Definitiv. In niedergelassenen Arztpraxen wurden bisher 95 Prozent aller Covid-19-positiven Menschen betreut und behandelt. Wir halten den Kliniken die Betten frei und filtern bereits vorab, ob ein stationärer Aufenthalt unbedingt notwendig ist. Zudem führen wir MFA die Corona-Abstriche durch, die oftmals vom Gesundheitsamt an den Teststrecken aufgrund von Kapazitätsengpässen oder Personalengpässen) nicht durchgeführt werden können. Viele MFA opfern ihre Mittagspause, um eine reine Infektsprechstunde zu organisieren. Wir haben weiterhin die alltäglichen Aufgaben, die in einer Arztpraxis anfallen und zusätzlich noch die Belastung mit Corona. Auch das Arbeiten in Schutzkleidung und mit FFP2-Maske macht es uns nicht gerade leichter.

Wie hoch ist aktuell

die Arbeitsbelastung?

Sehr hoch. Neben dem dauerhaften "Telefonstress" müssen ja unsere Patienten weiterhin versorgt werden. Zusätzlich kommen beinahe täglich neue Anforderungen bezüglich Hygiene und Abrechnung. In Spitzenzeiten habe ich pro Woche mehr als 50 Stunden in der Praxis verbracht und zusätzlich zehn Stunden zu Hause in meiner Freizeit, um mich in die neuen Vorgaben der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) einzulesen.

Haben Sie für diese Aufgaben in der ersten Welle auch den richtigen Schutz erhalten und wie sieht es jetzt aus?

Wir konnten uns glücklich schätzen, dass wir sowohl von der KV als auch durch das angegliederte Krankenhaus mitversorgt wurden. Zeitweise gab es weder Handschuhe noch Desinfektionsmittel bei unseren Lieferanten zu bestellen. Mittlerweile hat sich diese Lage ein wenig entspannt, jedoch sind die Handschuhe und auch das Desinfektionsmittel im Preis deutlich angestiegen. Gerade jetzt in der zweiten Welle gehe ich aber davon aus, dass es wieder zu Lieferengpässen mit Masken und anderen Teilen der persönlichen Schutzausrüstung kommt.

Den Pflege-Bonus der Bundes- und der Landesregierungen haben Sie aber dennoch nicht bekommen. Wie ist das bei Ihren Kolleginnen und Kollegen angekommen?

Wir empfinden es als Ohrfeige und sind einfach nur sauer. Die Pflege hat den Bonus aus unserer Sicht verdient. Jetzt sollen auch Lehrer und Mitarbeiter der Gesundheitsämter einen Bonus bekommen und wir gehen dabei wieder leer aus. Anscheinend sind wir MFA für das Gesundheitsministerium nichts wert und können als Kanonenfutter verheizt werden.

Viele Ihrer Kolleginnen

und Kollegen beklagen sich

über ständige Änderungen

in der Abrechnungspraxis

solcher Leistungen wie

Abstriche ….

… und das zu Recht! Was heute noch gilt, kann morgen bereits veraltet sein. Es ist ein großer bürokratischer Aufwand, alles im Überblick zu behalten. Zur Quartalsabrechung muss man sich eigentlich alle Schreiben der KV mit hinlegen, um genau zu wissen, welche Regelung von wann bis wann galt, um mögliche Fehler zu vermeiden. Gerade bei den Abstrichen müssen wir genau darauf achten, ob die Patienten symptomfrei und asymptomatisch sind, das bayerische Testangebot in Anspruch nehmen, Symptome zeigen, Kontaktpersonen sind, Reiserückkehrer, … Ich kann und werde jetzt nicht alles aufzählen, da jeder Fall anders abgerechnet und anders kodiert wird und sich ständig etwas ändert.

Woran liegt es, dass es für

Praxen immer schwerer

wird, MFA zu gewinnen?

Seit 2012 sind jedes Jahr mehr als 2000 in den Arztpraxen ausgebildete Medizinische Fachangestellte in die Krankenhäuser abgewandert. Zwischen 2012 und 2018 hat sich die Zahl der im stationären Bereich arbeitenden MFA um 34 Prozent erhöht. Als Berufsanfängerinnen
und -anfänger erhalten sie dort
laut Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst rund 2650 Euro brutto.
Zum Vergleich: Das Tarifgehalt für MFA in Arztpraxen in der schon
anspruchsvollen Tätigkeitsgruppe III liegt in den ersten drei Berufsjahren bei 2216 Euro brutto. Leider gibt
es auch genügend Arbeitgeber,
die den Tarif nicht bezahlen und uns mit dem Mindestlohn abspeisen wollen.

Gerade heute beginnen laut

einer Mitteilung des Verbandes die Verhandlungen für ein

neues Tarifwerk. Was sind

die zentralen Forderungen?

Ziel ist es vor allem, die Entgeltdifferenz zu den Einstiegsgehältern für Medizinische Fachangestellte im öffentlichen Dienst zu reduzieren. Auch ein Corona-Bonus steht auf der Agenda der Verhandlungen.

Das Gespräch führte Joachim Dankbar

Autor

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