Lob der Gelassenheit Mit Geduld geht’s oft besser

Britt Anders
Die Unfähigkeit zu warten tut offenbar auch der Frisur nicht gut. Foto: AdobeStock/Pavlo Syvak

Fast Food und Verkehr, Konsum und Kommunikation: Alles soll immer und sofort verfügbar sein. Menschen verlernen die Geduld – und schaden sich damit selbst.

 
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Da sitzt man gemütlich in seinem Auto und wartet bei Rot an einer Kreuzung. Plötzlich ertönt ein lautes Hupkonzert und reißt einen aus der inneren Ruhe. Der Grund: Eine Hundertstelsekunde zuvor ist die Ampel auf Grün gesprungen, und ungeduldige Autofahrer im Rückspiegel gehen nun sofort auf die Barrikaden.

Hupen im Stadtverkehr, Drängeln auf Autobahnen, Genöle an der Supermarktkasse, weil es zu lange dauert, oder Gemecker, weil die bestellte Pizza nach 30 Minuten noch immer nicht geliefert wurde: Die Ungeduld ist allerorten groß, ob im Verkehr, in der Freizeit oder auch im Büro. Höher, weiter und vor allem schneller, ist die Anforderung.

Man könnte manchmal versucht sein, diese Ungeduld als Dynamik zu werten, aber eigentlich ist sie nur die Unfähigkeit zu warten. „Bedürfnisse können in unserer Gesellschaft meist sofort befriedigt werden aufgrund der 24/7-Verfügbarkeit von Dienstleistungen und Konsumgütern“, sagt Martin-Niels Däfler, Dozent an der FOM-Hochschule in Frankfurt am Main und Autor des Buches „Gib mir Geduld – aber flott!“.

Doch nicht alles steht in unserer Macht, und dann regt man sich eben schnell mal auf. Bei all der Selbstbestimmtheit, die wir zu haben glauben, klappt leider nicht alles wie geplant. Zudem sind unsere Ansprüche höher geworden mit den Jahrhunderten.

Mehr Religiosität, mehr Gelassenheit

Noch bis ins 20. Jahrhundert hinein gab es eine große Religiosität, die verbunden war mit einer Schicksalsverbundenheit, in der auch eine gewisse Gelassenheit – wenn auch unbeabsichtigt – mit drinsteckte.

„Früher, so lässt es sich rekonstruieren, hat man die Dinge, die geschahen, eher akzeptiert“, erklärt Däfler. „Heute erleben wir eine größere Intensität der Gefühle. Und in fast allen Branchen gibt es eine extreme Beschleunigung, ermöglicht vor allem durch die sozialen Medien.“ Nur noch selten ist man mit Dingen zufrieden, die langwierig erscheinen, und verinnerlicht ein Getriebensein im eigenen Handeln.

Dafür kann es auch eine genetische Veranlagung geben, eine von Natur aus kurze Zündschnur oder Neigung zur Unruhe; vielmehr ist aber davon auszugehen, dass Ungeduld eingeübt wurde: durch ständiges Drängeln der Mitmenschen, durch Sozialisierungsprozesse und auch durch die Erziehung.

Großes Lob also in diesem Fall für all jene – manchmal zwar Verzweifelten –, die es dennoch gelassen ertragen, wenn Teenager tagelang träge und unbewegt auf ihrem Sofa liegen. „Wer Hektik und Ungeduld vorlebt, der vermittelt es unbewusst an andere“, meint Däfler. „Geduld, Ruhe und Gelassenheit sind ansteckend.“

Besser als „so gut, wie es geht“ geht’s eh nicht

Jedoch Geduld zu haben, obgleich man es eilig hat, das ist nicht einfach, wenn auch sinnvoll. Ein afrikanisches Sprichwort besagt: „Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht.“ Viel Rupfen hilft also wenig? „Von der Natur kann man schon etwas lernen“, findet Aljoscha A. Long, Psychologe und Philosoph, der gemeinsam mit seinem Co-Autor Ronald Schweppe schon zahlreiche Bücher geschrieben hat, unter anderem „Der Panda und das Geheimnis der Gelassenheit: Wie Sie achtsam und entspannt durchs Leben kommen“.

Wachstum und Reifung benötigten nun mal Zeit: „Um vom Garten wieder ins Büro zu kommen: Das Optimum – zumindest das langfristige – ist nicht das Schnellste und Stressigste. Das Optimum ist in der Regel nicht, dass die Mitarbeiter 24 Stunden arbeiten, tot umfallen und dann durch neue ersetzt werden. Das Optimum ist doch eher: so gut es geht. Denn besser als ‚so gut wie es geht‘, geht’s ja sowieso nicht.“

Faktoren wie Zusammenarbeit, Wohlbefinden und Zufriedenheit würden eine viel größere Rolle spielen als viel Druck, der nur zu kurzfristigem Output führe. „Kranke, Genervte, Gestresste, Unzufriedene und vor allem Tote arbeiten nicht gut“, so Long.

Das scheint zwar noch nicht bei allen Chefs angekommen zu sein, aber klüger wäre der duldsame Ansatz allemal, findet der Achtsamkeitsfachmann: „Ungeduld erhöht die Fehlerquote. Und durch die Eile gibt es auch weniger Möglichkeiten, bessere, effektivere Wege zu erkunden.“

Wer das hektische Sofort-handeln-Müssen schon verinnerlicht hat, dem hilft vielleicht die alte asiatische Weisheit: „Wenn Du in Eile bist, dann gehe langsam.“ Sie ist zwar suboptimal für Profi-Sprinter oder Marathonläufer, aber der gute alte Konfuzius hatte damals – so um 500 vor Christus – schon den Kern getroffen.

„Ungeduld vergeudet enorm Energie, und es ist damit keine Millisekunde gewonnen“, meint Long, denn negative Gedanken schwingen meist mit und hemmen Kreativität sowie Produktivität. Geduld sei nämlich verbunden mit guten Gedanken, mit Achtsamkeit und somit Gelassenheit. Und die trage enorm zum Lebensglück bei. Nicht gleich auf eine E-Mail zu antworten, sei übrigens auch nicht unhöflich; eher Gegensätzliches sei der Fall, befindet Long: „Dann kann man ja über die Antwort gar nicht richtig nachgedacht haben.“

Am Ende noch ein Lob der Ungeduld

Freilich gibt es Ausnahmen, wann Ungeduld angebracht, unabdingbar oder gar überlebenswichtig ist, wie beispielsweise beim Thema Klimaschutz oder Menschenrechte. Geduld ist zwar eine gute Eigenschaft, gilt überdies als Tugend, jedoch ist sie kontraproduktiv bei der Beseitigung von Missständen.

Oftmals brauche es noch viel mehr Eile, fordert Däfler: „Ungeduld kann ein toller Motor sein, um unliebsame – auch persönliche – Umstände verändern zu wollen; sie nicht lethargisch zu ertragen, sondern ins Handeln zu kommen.“ Denn ohne diesen ungeduldigen Wunsch auf schnelle Veränderung wären Klimaziele vollends utopisch, oder eine gepeinigte Ehefrau würde sich niemals von ihrem herrischen Gatten trennen. Manches darf nicht warten.

In anderen Bereichen dürfen wir dagegen ruhig geduldiger werden. Helfen können dabei Geduldsmantras sowie Achtsamkeitsübungen, damit ein hektisches „Jetzt sofort“ seine Dringlichkeit verliert. Jeder könne das lernen, so Experte Long: „Aber leicht ist es nicht. Denn um Geduld zu üben, braucht man ja ein wenig Geduld.“

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