Lokalsport Die Bürde des Startplatzes

25 000 Zuschauer säumten die Strecken in der Lenzerheide bei der Mountainbike-Weltmeisterschaft. In der Schweiz ist die Sportart deutlich beliebter als in Deutschland. Der Helmbrechtser Martin Gluth will in der Region zumindest mehr Fans für seine Leidenschaft begeistern. Foto: Thomas Weschta

Der Mountainbike-Profi Martin Gluth aus Helmbrechts peilt den Sprung in die Weltspitze an. Auf dem Weg dorthin kämpft er nicht nur mit der starken Konkurrenz.

 
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Wandern, raus aus dem stressigen Alltag, rein in die Wälder, auf die Pfade der Region. Es ist eines der liebsten Hobbys der Oberfranken. Und es ist familienfreundlich. Auch die Familie Gluth aus Helmbrechts ist auf den Wanderwegen zu finden. Schon früher war das so. Sohn Martin musste mit, auch wenn er nicht immer Lust dazu hatte, auf Schusters Rappen durch die Wälder zu ziehen. Seine pragmatische Lösung: Er fuhr auf dem Mountainbike mit.

Heute stellt sich die Entscheidung als weitsichtig heraus. Die Stunden auf zwei Rädern in den oberfränkischen Wäldern sind der Beginn einer einmaligen Karriere. Martin Gluth ist heute in der (erweiterten) Weltspitze des Mountainbike-Sports angekommen. Er zählt zu den Kandidaten aus der Region, die eine Chance haben, an den olympischen Spielen in Tokio im Jahr 2020 teilzunehmen. Kurzum: Gluth ist einer der wenigen Spitzensportler aus dem Landkreis Hof mit weltweitem Rang und Namen. Und alles begann auf den Waldwegen rund um Helmbrechts. "Damals habe ich das Gleichgewicht für das Mountainbike entwickelt", sagt der 27-Jährige.

Das Interesse war bei Gluth geweckt - spätestens nach einer Einsteigerveranstaltung des FC Wüstenselbitz auf dem Helmbrechtser Segelflughafen. Martin Gluth siegte - ohne Training. Und wer das schon kann, dem standen anschließend alle Türen offen. Über die bayerischen Meisterschaften rückte er in den Bayernkader, später wurde der Juniorennationaltrainer auf ihn aufmerksam. Eine Karriere im Schnelldurchlauf. "Am Anfang kannst du ziemlich weit kommen, wenn du fleißig bist", sagt Gluth, der in der olympischen Disziplin "Cross Country" startet. Gluth war richtig fleißig, arbeitete sich schnell in die deutsche Spitze vor. Talent und intensives Training waren die Erfolgsfaktoren.

Die Richtung zeigte immer nach oben - bis Gluth im Weltcup angekommen war. "Talent und Fleiß - das haben auch alle meine Konkurrenten im Weltcup", sagt der Helmbrechtser. "Jetzt kommen andere Sachen hinzu." Kleinigkeiten geben nun die Ausschlag darüber, ob er den nächsten Schritt machen kann oder ob er im Mittelfeld stehen bleibt. Aktuell ist er 107. der Weltrangliste des Welt-Radsport-Verbands (UCI), wurde bei der WM in der Lenzerheide kürzlich 53. ("Ein solides Ergebnis"), bei den Europameisterschaften in Glasgow im Sommer 30. - obgleich er schon auf Kurs auf die Top-20 lag, dann aber einen Platten hinnehmen musste.

Nun klingen die Positionen gut, aber im Sport zählen vor allem Siege oder Top-10-Platzierungen. Dorthin zu kommen, ist im Cross Country äußerst schwer. Das hat verschiedene Gründe: Neben der harten Konkurrenz an der Spitze mit vielen Fahrern auf ähnlichem Leistungsniveau entscheidet schon die Position beim Massenstart über die Erfolgsaussichten. Sprich: Wer in der ersten Reihe startet und dann auf den Kurs geht, wird wohl auch als einer der ersten ins Ziel kommen. Überholmanöver auf den Single-Trails sind nur selten möglich. Kurz nach dem Start muss das Fahrerfeld oftmals durch einen Trichter. Während die hinteren Fahrer dann ungeduldig warten, sich gegenseitig rangeln, machen die Führenden bereits an Boden gut. Wenn sich das Feld einmal sortiert hat, ist es so gut wie ausgeschlossen, dass die Starter der hinteren Reihen nochmals an die Spitze aufschließen. "Das sieht man bei Topfahrern", sagt Gluth. "Wenn die beim Start nach hinten fallen, schaffen auch sie es kaum noch vorn." Und wie soll es dann dem Helmbrechtser gelingen? Nur schwer.

Denn um von einem vorderen Startplatz ins Rennen zu gehen, müsste Gluth genügend Punkte für die Weltrangliste sammeln. Anhand der legt der Weltverband die Startpositionen fest. Nur: Die Punkte gibt es für die Platzierungen in den Rennen. Je besser der Fahrer abschneidet, desto mehr Punkte gibt es. Und so beißt sich die Katze selbst in den Schwanz. Um nach vorn zu kommen, muss Gluth gute Plätze einheimsen, schafft das aber nur schwer, weil er von weiter hinten startet. Andererseits: Gelingt ihm einmal der Sprung in die Top-20 der Weltrangliste, ist es auch sehr wahrscheinlich, dass er dort länger bleibt. "Das ist mein Ziel", sagt er. Möglichst schon in der nächsten Saison. Er muss die Schallmauer überwinden, um seiner Karriere noch einmal richtig Schwung zu verleihen.

Doch wie schafft er das? Entweder über Top-Platzierungen in den (großen) Weltcup-Rennen oder mit der Eichhörnchen-Methode: viele Punkte in kleineren Rennen sammeln. "Wenn ich gar kein Weltcup-Rennen gefahren wäre, würde ich wahrscheinlich sogar besser in der Weltrangliste stehen", sagt er. Denn vor den wichtigen Rennen finden kleinere Rennen statt - oft eben ohne die Beteiligung von Spitzenfahrern und daher mit der einfacheren Chance für Fahrer wie Gluth, Punkte für die Weltrangliste zu sammeln. Auf diese Karte setzt er aber auch in Zukunft nicht. Zu groß ist die Gefahr, dass er zu viele Rennen absolviert und in einen Leistungsstrudel nach unten hineingerät. "Die Mischung macht's", sagt er.

Wichtig ist dabei der Ausgleich zwischen Training und Wettkampf. Vor zwei Jahren war er zu viele Rennen gefahren, war dann zum Saisonhöhepunkt nicht fit. Dieses Jahr lief es besser. Seinen Saisonhöhepunkt setzte er zum ersten Weltcup-Block, fuhr im Mai im tschechischen Nove Mesto auch sein bestes Weltcup-Resultat ein (29.). "Diese Saison war ein Kennenlernjahr mit meinem neuen Trainer", sagt er. 2019 soll daher sein Jahr werden. Dafür hat sich Gluth einen Mentaltrainer genommen. Eben um die Kleinigkeiten anzupacken, die den Unterschied ausmachen. "Das hat mich nach vorn gebracht", sagt er. "Es geht darum, einen die eigenen Blockaden und Schwachstellen zu finden, den Fokus auf sich selbst zu legen." Der Tunnelblick ist wichtig, um durch den Tunnel der Trails zu kommen.

Die mentale Stärke sei auch etwas, wovon er in seinem beruflichen Leben profitieren will. Gluth fühlt sich zwar als Profisportler ("Aufgrund der Weltcup-Ergebnisse würde ich mich als Profi bezeichnen. Wenn ich sehe, wie viel Geld ich damit verdiene, bin ich höchstens Amateur."), studiert aber in Furtwangen Vollzeit. Damit heißt es nach seinem Abschlussrennen in Israel: kein Urlaub, sondern Master-Studium. In der zweiten November-Wochen beginnt dann auch schon wieder die Vorbereitung auf die neue Saison. Eine entscheidende Saison auch für Tokio 2020. Doch so weit möchte er noch gar nicht vorausdenken. "Ein konkretes Ziel ist es erst dann, wenn ich an der Nominierung dran bin. Ich muss jetzt erst noch den nächsten Schritt machen." Ganz nach vorn fahren. Und wenn er auf dem Weg dorthin eine Auszeit braucht, dann kann Martin Gluth sich zurückziehen: auf die Wanderwege rund um Helmbrechts. Wie damals als Kind auf dem Mountainbike.

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