Marathon-Läufer Vom Krankenhaus direkt ins Ziel

Steffen Förtsch mit seiner Finisher-Medaille. Hinter dem Frankenwäldler liegt ein verrücktes Abenteuer beim Berlin Marathon. Foto:  

Steffen Förtsch von den Crazy Runners Frankenwald macht dem ­Namen der Laufgruppe alle Ehre: Während des Berlin ­Marathons am Sonntag geht er K.o. und muss in die Klinik. Das Ziel erreicht er trotzdem.

 
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Berlin - Wenn die Laufgruppe schon den Namen „Crazy Runners“, also die verrückten Läufer, trägt, dann muss etwas dahinterstecken. Normalerweise definiert sich die Truppe über ihre wahrlich verrückten Läufe – im besten Fall durch den heimischen Frankenwald, aber auch in Deutschland oder an anderen Orten auf der Erdkugel, wo ungewöhnliche Lauf-Leistungen gefragt sind. Der Berlin Marathon, an dem am Sonntag auch wieder viele Läufer aus der Region teilgenommen haben, zählt nicht zwingend zu dieser Kategorie. Kein Frankenwald mit Waldwegen, sondern der schnelle Straßenkurs des größten Rennens auf deutschem Boden lockte auch diesmal wieder knapp 25 000 Läufer an. Knapp 15 000 weniger als in der Zeit vor der Pandemie.

Einer der Teilnehmer war Steffen Förtsch von den „Crazy Runners Frankenwald“ – und er machte dem Namen der Laufgruppe alle Ehre: Für den 42-Jährigen war der Berlin Marathon ein persönliches Highlight, um eine vordere Platzierung lief er allerdings bei Weitem nicht mit. „Ich lag gut im Rennen“, erinnert er sich an die prägenden Momente seines Rennens, „und wollte bei Kilometer 37 noch etwas trinken, damit ich die restlichen fünf Kilometer gemütlich ins Ziel komme.“ Höchstwahrscheinlich wäre er unter vier Stunden geblieben.

Erstes Veto der Ärzte

Doch dann passierte es: Ein anderer Läufer kollidierte mit Förtsch. „Ich bin aus dem Tritt geraten, habe das Gleichgewicht verloren und lag plötzlich am Boden.“ Förtsch ging K.o., was womöglich auch an den hohen Temperaturen in Berlin lag. Sofort kümmerten sich Sanitäter um den Frankenwäldler, dessen Kreislauf verrückt spielte. „Meine Beine haben sofort dicht gemacht“, sagt Förtsch. „Aber die Sanitäter haben mich stabilisiert.“ Ob es das Adrenalin war oder nicht – Förtsch hatte trotzdem das Ziel weiter im Blick. Aber von den Ärzten gab es ein Veto: „Das wollten sie nicht verantworten.“ Also brachten sie ihn ins nahegelegene Krankenhaus – und verabreichten ihm dort eine Infusion.

Förtsch hatte also Zeit, sich Gedanken über das Geschehen zu machen. Zuerst gab er eine Info an die Familie, die seine Live-Daten im Internet mitverfolgt hatte, dass es ihm gut geht. Aber auch sein Frust stieg. „Ich war den Tränen nahe“, sagt er. Fünf Kilometer vor dem Ziel sollte er seinen dritten Marathon beenden – das war keine Option. Zumal die Behandlung anschlug. „Ich habe gemerkt, wie ich wieder zu Kräften kam.“ Und vielleicht erinnerte er sich auch daran, dass er ein echter „Crazy Runner“ ist oder schon früher seine Nehmerqualitäten gezeigt hatte: Als Kind hatte er ein schweres Hirntrauma, war im künstlichen Koma und musste eine halbseitige Lähmung überstehen. Als er dann vor sechs Jahren nach einem schweren Sturz einen künstlichen Knorpel ins Knie implantiert bekam, war nichts mehr mit Sport. Förtsch wog 103 Kilo – und begann mit dem Laufen. „Das Laufen hat mein Leben total geändert“, sagt er. Ich lebe gesünder, bin ausgeglichener und relaxter – und habe so viele positive Menschen kennengelernt.“ Wohl auch deshalb ist er unentwegt unterwegs.

Spaziergang durchs Brandenburger Tor

Aus diesem Grund warf ihn auch nicht mehr der Knockout von Berlin aus der Bahn. Förtsch war wieder bei Kräften und verließ das Krankenhaus, das nur 300 bis 400 Meter von der Stelle entfernt lag, wo Förtsch zu Boden gegangen war. Statt zurück ins Hotel zu laufen, entschied er: Die restlichen fünf Kilometer ins Ziel schafft er dann auch noch. „Sicherlich ist das nicht vorbildlich“, sagt er. „Aber ich habe mich gut gefühlt.“ Und da sein Krankenhaus-Aufenthalt nur knapp über zwei Stunden gedauert hatte, war die Strecke für die letzten Läufer sogar noch offen.

Förtsch fand die Stelle, auf der er die Marathon-Strecke verlassen hatte, wieder. „An das Burger-Restaurant konnte ich mich noch erinnern.“ Und im gemächlichen Tempo spazierte er in Richtung Brandenburger Tor und die unmittelbar dahinter gelegene Ziellinie. „Ich habe mich so gut gefühlt, dass ich sogar noch andere Läufer angefeuert habe“, sagt er. Und sich auch von den zahlreichen Fans an der Strecke feiern ließ, die nicht ahnten, was er gerade hinter sich gebracht hatte.

Nur aus der Vier-Stunden-Zeit wurde natürlich nichts mehr. Nach 6:30:17 Stunden überschritt er die Ziellinie. Überglücklich. „Mein Ziel war es, die Medaille und das Finisher-Shirt mit Stolz zu tragen.“ Das kann er nach diesem außergewöhnlichen Sonntag gleich doppelt.

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