So empfindlich reagiert die Türkei, als berührte man einen frei liegenden Nerv. Länder, die dem Osmanischen Reich den "Völkermord" an den Armeniern vorwerfen, müssen scharfe Reaktionen gewärtigen. Bis heute mogelt sich deshalb - anders als etwa Frankreich - Barack Obama um den heiklen Begriff herum, auch wenn der US-Präsident die Grausamkeit der Massaker und Vertreibungen offen benennt. Ebenso ungern nahm man im politischen Berlin, wo die Türkei geostrategisch wie wirtschaftlich als wichtiger Partner gilt, das Wort in den Mund - bis jetzt: Fortan setzen die Regierungskoalition und die Bundeskanzlerin die Begriffe Massaker und Völkermord gleich. Vielleicht trug dazu auch, unlängst, Papst Franziskus mit seinem klaren Wort vom "ersten Genozid des 20. Jahrhunderts" inspirierend bei. Wer ohne Vorbehalte auf die Geschichte sieht, kommt unweigerlich zum Schluss, dass der Ausrottungsfeldzug vor jetzt hundert Jahren - Gedenktag ist der 24. April - sozusagen einer Endlösung der Armenierfrage gleichkam. Nachdem die russische Armee die türkischen Truppen im Kaukasus Anfang 1915 vernichtend geschlagen hatte, stellte die Regierung in Konstantinopel die vorgeblich zarenfreundliche armenische Minderheit unter den Generalverdacht der Sabotage. Bei Massendeportationen und Todesmärschen in die mesopotamische Wüste ließen bis zu 1,5 Millionen unschuldige Menschen das Leben. Im verbündeten deutschen Kaiserreich dekretierte Kanzler Theobald Bethmann Hollweg, am Pakt mit den Türken sei festzuhalten, "gleichgültig, ob darüber Armenier zugrunde gehen oder nicht". So zitiert Rolf Hosfeld jetzt den Staatsmann in seinem Buch "Tod in der Wüste". Und er erinnert an Franz Werfels großen Roman über ein dramatisches Kapitel jener Austilgung. "Die vierzig Tage des Musa Dagh" von 1933 - benannt nach einem Berg, auf dem sich 5000 Vertriebene vergeblich ihrer Verfolger erwehrten - gilt den Armeniern als eine Art Nationalepos: "Wir waren", sagen sie, "eine Nation. Werfel hat uns eine Seele gegeben."