Sogar dem braven Lohn- und Zeitungsschreiber dieser Zeilen widerfuhr dergleichen, als er sich vor Jahren spätabends noch einmal an den Computer setzte: Nach drei Stunden waren zehn Druckseiten einer Erzählung gelungen, die nachträglich kaum einer Korrektur bedurften. Rausch ist die mentale Ausnahmesituation einer beseligenden Haltlosigkeit, die sich einem eigentlich unverantwortlichen Zu-viel ohne Rücksichten auf Risiken und Nebenwirkungen verdankt. Unter Dichtern heißt das gar nicht seltene Phänomen furor poeticus und ist seit der Antike bekannt und ersehnt. Cocteau und Proust, Thomas Mann, Marie von Ebner-Eschenbach erlebten es - oder die Umkehrung, die kreative Ladehemmung, wie eine Ausstellung im Zürcher Strauhof belegt. Geradezu schicksalhaft sah sich der große Wolfgang Koeppen von Schreibkrisen gelähmt. Gegen sie scheint kein Kraut gewachsen. Natürlich kann sich einer wie der Schreiber dieser Zeilen so etwas nicht leisten. Verlässlich gut kommt er voran, wenn es ihm glückt, gleich zu Beginn der Arbeit an einem Text dessen Anfang und den Schluss zu formulieren. So kennt er schon am Start den Weg aufs Ziel zu. Als "schönsten ersten Satz" überhaupt ermittelte eine Jury vor Jahren den Auftakt zum "Butt" von Günter Grass: "Ilsebill salzte nach." Welcher Satz aber klingt wohl als letzter am schönsten? Dem Schreiber dieser Zeilen greift da eine Schlusszeile von Ricarda Huch bittersüß ans Herz: "Oh schweige, meine Seele, es ist vorüber." Da bündeln sich 260 Romanseiten einer tragischen Liebesgeschichte in sieben Wörtern von finalem Gewicht. Kein Wunder, dass US-Bestsellerautor John Irving, der offenbar von Schreibräuschen verwöhnte, von Schreibhemmungen verschonte Verfasser vieler dicker Wälzer, bekennt: Den letzten Satz eines Buches schreibt er stets zuerst.