Doch der Freudenkelch schmeckt für die meisten Deutschen nur noch nach Wermut. Gewiss, gerade ist in Prag das gefeiert worden und geschichtsbewusste Menschen bewahren sich die Dankbarkeit über die friedliche Vereinigung Deutschlands. Doch wie Mehltau lähmt Missmut das ganze Land. Die Jubelbilder aus der Vergangenheit reißen kaum jemanden aus der Jetzt-Lethargie. Sie spornen nicht dazu an, sich auf das zu besinnen, was machbar ist, wenn Menschen ihre positive Energie mobilisieren und plötzlich Großes schaffen. Aufbruchstimmung wäre wieder bitter nötig. Der Mut, das überkommene Alte entschlossen einfach wegzuwerfen, wie es die DDR-Bürger getan haben, könnte helfen, um die gigantischen Herausforderungen anzugehen, die in den kommenden Jahren bewältigt werden müssen - es führt kein Weg daran vorbei. Stattdessen: Murren und Aufeinander-Einhacken. So wird das nichts! Die Menschen aus dem Osten haben sich aus ihrer nicht funktionierenden Welt in den Westen begeben, hier das Heil erhofft und häufig tiefe Enttäuschung erlitten. Die Lehre aus dem Glücksgefühl am Hofer Hauptbahnhof Anfang Oktober 1989 heißt: Freude kommt nur aus der Kraft der Gemeinschaft.