So ist der Druck auf die beteiligten Politiker gewaltig. Sie müssen nun zeigen, dass der gern zitierte Leitsatz, wonach jede demokratische Partei prinzipiell mit den jeweils anderen koalitionsfähig sein muss, keine leere Floskel ist, sondern eine demokratische Tugend beschreibt. Dass sie die hohe Kunst beherrschen, harte Gegensätze zu überwinden und für alle Beteiligten tragfähige Kompromisse zu finden. Dass die parlamentarische Demokratie allem haushoch überlegen ist, was Populisten und Extremisten im Schilde führen.
Es ist eine Reifeprüfung der Demokratie: Können die beteiligten Politiker und Parteien aus staatsbürgerlicher Verantwortung über ihre langen Schatten springen, auch wenn sie Nachteile für sich befürchten müssen? Werden sie sich auf ein gemeinsames Leitbild einer bürgerlich-freiheitlichen Gesellschaft einigen können? Und werden die Wähler, die diese Zersplitterung des Parteiensystems gewollt haben, das Ringen um Lösungen und mühsam ausgehandelte Einigungen als Ergebnis harter Arbeit würdigen - oder werden sie Ergebnisse als faule Kompromisse schlechtreden und die demokratischen Parteien dafür verachten - wie in der Weimarer Republik geschehen?
Russland, Türkei, Amerika: In vielen Ländern steckt das Modell der liberalen Demokratie in der Krise, werden Freiheitsrechte angegriffen. Deutschland hat es besser. Der Weg nach Jamaika ist sehr weit und schwierig. Er muss behutsam gegangen werden, aber er muss gegangen werden. Es ist der Königsweg der Demokratie.