Naila "Jederzeit wieder"

Fünf Stunden musste Sandra Lehnert im Bett liegen, dann waren genug Stammzellen im Beutel. Foto: privat

Demnächst findet in Hof wieder eine Typisierungsaktion statt: Isabella sucht einen Retter, genau wie Leonard 2015. Ihm wollte Sandra Lehnert helfen, nun hat sie gespendet.

 
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Naila - Als das Paket ankommt, ist Sandra Lehnert dann doch sehr überrascht. "Und ein bisschen mulmig war mir auch zumute", verrät sie. Dass es sie treffen könnte, weiß die junge Frau seit über drei Jahren. "Trotzdem rechnet man nicht so richtig damit." Das Paket, das der Postbote Anfang Juni in ihrer Nailaer Wohnung abliefert, stammt von der Deutschen Knochenmarkspenderdatei (DKMS). Es enthält Utensilien für eine Blutentnahme - und vor allem die Botschaft, dass die 24-Jährige eine Lebensretterin werden kann.

Isabella will leben

In der Region steht bereits eine neue Typisierungsaktion an. Wie berichtet, suchen die Eltern der sechs Monate alten Isabella einen Stammzellenspender, der das Leben ihrer Tochter retten könnte. Sie leidet an Hämophagozytischer Lymphohistiozytose (HLH).

Die Typisierungsaktion findet am 12. August von 11 bis 16 Uhr in der Hofer Freiheitshalle statt. Spendenkonto: Sparkasse Ostunterfranken

DE 64 7935173 00009 258385, Stichwort: Isabella

Ihre Gewerbemerkmale passen zu denen eines Leukämie-Patienten, der dringend auf eine Stammzellenspende wartet. "Als ich das Paket sah, hatte ich sofort im Kopf: Ich mach' das!" Auch ihr Freund rät ihr zu.

Er ist jedoch so ziemlich der einzige. Ansonsten reagieren die Menschen in ihrem Umfeld verunsichert und melden Bedenken an. "Mich hat überrascht, wie viele falsch informiert sind." Denn als sie von dem Paket erzählt, erntet sie skeptische Fragen, nach dem Motto: Ist das nicht gefährlich? Willst du das wirklich machen? "Viele denken, dass die Stammzellen aus dem Rückenmark entnommen werden", hat die Zahnarzthelferin festgestellt. Deshalb findet sie, dass man besser darüber aufklären müsste, wie eine Spende abläuft. Denn selbst von denen, die sich mit ihr in Helmbrechts für den kleinen Leonard typisieren ließen, wussten nicht alle Bescheid.

Laut DKMS genügt in 80 Prozent der Fälle eine periphere Spende, das heißt, die Stammzellen werden aus dem Blut entnommen. So auch bei Sandra Lehnert. Mit dem Paket, das sie Anfang Juni erhält, geht sie zunächst zum Hausarzt und lässt sich Blut abnehmen. So überprüft die DKMS noch einmal, ob die Gewebemerkmale tatsächlich übereinstimmen. Danach muss sie zu einem großen Gesundheitscheck nach Dresden, dort gibt man ihr Spritzen mit nach Hause, die sie sich zweimal pro Tag selbst verabreichen soll. Sie bewirken, dass ihr Körper vermehrt Stammzellen produziert. "Wahrscheinlich hatte ich wegen meines Berufs kein Problem damit, mich zu spritzen", erzählt sie. Hätte sie es nicht geschafft, wäre ein Pflegedienst zu ihr nach Hause gekommen.

Dann kommt Sandra Lehnerts großer Tag. Am 18. Juli um 8 Uhr liegt sie im Bett eines Dresdener Entnahmezentrums und wird an Schläuche angeschlossen. Aus dem rechten Arm fließt ihr Blut in eine Maschine, die Stammzellen herausfiltert, bevor es über den linken Arm in den Körper zurückläuft. "Am Tag der Spende hatte ich überhaupt keine Angst mehr, es hat auch nicht weh getan."

Fünf Stunden dauert die Prozedur, sie darf sich mit Snacks und Filmen ablenken. "Es war wie ein etwas anderer Fernsehabend", scherzt sie. Trotzdem ist sie gedanklich immer wieder bei dem Patienten, der auf ihre Stammzellen wartet. Sie bekommt auch mit, wie ein Kurier den Beutel mit dem roten Inhalt abholt.

"Ich überlege oft, wie es demjenigen geht", sagt Sandra Lehnert heute und spricht von einer gewissen Verbundenheit, die sie für den Unbekannten empfindet. "Der Gedanke, dass man helfen konnte, macht glücklich und ein bisschen stolz. Ich würde es jederzeit wieder tun."

Zwei Jahre lang dürfen sich Spender und Empfänger nur anonym über die DKMS Briefe schreiben. So will die Organisation verhindern, dass positive oder negative Gefühle aufkommen, die eine weitere Spende erschweren könnten. Denn zwei Jahre lang ist die Nailaerin jetzt für den Patienten reserviert. Sollte er erneut Stammzellen brauchen, würde die DKMS erneut bei ihr nachfragen. Von dem Empfänger weiß Lehnert nur, dass es sich um einen Leukämie-Patienten aus Deutschland handelt, im Alter zwischen 30 und 40 Jahren.

"Ich will ihm unbedingt einen Brief schicken, aber überlege noch, was ich schreiben soll." Im September wird sie einen Anruf von der DKMS bekommen und erfahren, wie es ihm geht. Die Stammzellen von Sandra Lehnert hat er einen Tag nach der Spende erhalten.

Die junge Frau, die aus Schauenstein stammt, würde die Person, die sie eventuell gerettet hat, gerne kennenlernen. "Aber ich könnte auch verstehen, wenn es derjenige nicht möchte. Vielleicht will er abschließen mit dieser schlimmen Zeit."

Für sie hingegen sei die Spende keine große Belastung gewesen, obwohl sie sich spritzen musste und als Nebenwirkung Kopf- und Beckenschmerzen verspürte. Im August steht noch eine letzte Untersuchung beim Hausarzt an. Er überprüft, ob der Körper wieder genug Stammzellen nachproduziert hat. Danach ist alles überstanden.

Sandra Lehnert hätte auch einen größeren Eingriff auf sich genommen. Im Vorfeld hat sie sogar einer Entnahme aus dem Beckenkamm unter Vollnarkose zugestimmt. Die Operation wäre notwendig geworden, wenn sie die Spritzen nicht vertragen hätte. "Der Patient hat viel mehr durchgemacht als ich, da werde ich doch den kleinen Eingriff überstehen", sagt die Spenderin.

Weil sie wusste, dass der Empfänger mit einer aggressiven Chemotherapie auf die Spende vorbereitet wird, wollte sie den Termin auf keinen Fall gefährden. Aus Angst vor einer Erkältung hat sie sogar einen geplanten Zelt-Ausflug abgesagt. "Man empfindet Verantwortung und fragt sich, was wird aus dem Menschen, wenn ich jetzt nicht spenden kann?"

Die DKMS hat sämtliche Kosten für die Spende übernommen, so auch die Anreise und die Übernachtungen im Hotel in Dresden sowie den Arbeitsausfall der Zahnarzthelferin. Seit das Paket eingetroffen ist, stand ihr außerdem eine Betreuerin der DKMS zur Seite, mit der sie jederzeit telefonieren konnte. Wie Sandra Lehnert erzählt, hat die Betreuerin nicht nur alle Fragen beantwortet, sondern sich auch tausendfach bei ihr bedankt. Der jungen Frau ist das schon fast unangenehm. "Ich empfinde es als selbstverständlich und würde es auch jeder Zeit wieder tun."

Genau deshalb ist sie im März vor drei Jahren zur Typisierungsaktion nach Helmbrechts gekommen: "Ich wollte einfach helfen." Der Gedanke, dass sie diejenige sein könnte, die dem krebskranken Jungen das Leben retten kann, trieb sie damals an. Nun hat sie mit ihrer Spende hoffentlich einen anderen Menschen vor dem Tod bewahrt. Wer es ist, weiß Sandra Lehnert frühestens 2020. Auf ein Treffen mit ihm freut sich schon jetzt.

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