Oberfranken Wirtschaft treibt Zukunftsangst um

Von und Christopher Michael
Düstere Aussichten: In der deutschen und oberfränkischen Wirtschaft herrscht Krisenstimmung. Das hat vor allem mit der großen Unsicherheit hinsichtlich der Energieversorgung zu tun. Foto: picture alliance/dpa/Ole Spata

Noch nie waren die Unternehmen in der Region so pessimistisch wie aktuell. Konjunkturumfragen der Industrie- und Handelskammern zeigen, dass die Auswirkungen der Energiekrise beträchtlich sind: Was kommt auf Firmen und ihre Mitarbeiter zu?

 
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– Lieferengpässe, rasant gestiegene Energie- und Materialpreise, verunsicherte Verbraucher, schwelende Corona-Pandemie und Sorgen vor einem großflächigen Stromausfall – in der hiesigen Wirtschaft herrscht Alarmstimmung. 53 Prozent der Unternehmen erwarten für die kommenden Monate schlechtere Geschäfte, wie aus einer Umfrage der in Bayreuth ansässigen Industrie- und Handelskammer (IHK) für Oberfranken hervorgeht. Der IHK-Konjunkturklima-Index, der sowohl die aktuelle Lage der Firmen als auch ihre Zukunftseinschätzungen widerspiegelt, ist um 24 auf 81 Punkte abgestürzt. Eine Talfahrt historischen Ausmaßes. IHK-Präsident Michael Waasner sagte bei der Vorstellung der Ergebnisse: „Noch nie waren die Konjunkturaussichten derart von Pessimismus geprägt.“ Viele Betriebe rechnen der Umfrage zufolge mit weniger Aufträgen – vor allem aus dem Ausland. Lediglich das Nordamerikageschäft soll in etwa auf dem bisherigen Niveau bleiben. 45 Prozent der Unternehmen stellen sich auf eine geringere Kapazitätsauslastung ein.

Immerhin: 35 Prozent der befragten Firmen sind mit ihrer aktuellen Geschäftslage zufrieden. Zwar überwiege in allen Wirtschaftsbereichen eine positive Einschätzung, aber getragen werde die gute Beurteilung vom Tourismus- und Bausektor, sagte IHK-Konjunkturreferent Malte Tiedemann. Der Baubereich werde allerdings bereits durch steigende Bauzinsen, Rohstoffknappheit und hohe Materialpreise in die Zange genommen. Der Einzelhandel leide zunehmend unter der nachlassenden Konsumlust der Verbraucher.

Sorge um Wettbewerbsfähigkeit

Die Preisentwicklungen bei Energie, Rohstoffen und Vorprodukten sind in fast allen Branchen der Hauptgrund für die schlechten Zukunftsperspektiven. Rund 85 Prozent der befragten Betriebe geben an, dass diese ein Hemmnis für ihre Planungen sind. „Der Gaspreis ist aktuell rund zehnmal so hoch wie in den USA. Unternehmen verlieren tagtäglich ein Stück ihrer internationalen Wettbewerbsfähigkeit“, klagte IHK-Präsident Waasner. Sowohl Gaspreis- als auch Strompreisbremse müssten deshalb so schnell wie möglich umgesetzt werden. Wenn die Bundesregierung angesichts der explodierenden Energiekosten nicht dauerhaft gegensteuere, drohe gerade bei energieintensiven Betrieben eine Verschiebung von Investitionen oder gar eine Verlagerung von Standorten ins Ausland. Aktuell positioniert sich laut Waasner etwa die Türkei als attraktiver Investitionsstandort mit vergleichsweise gut ausgebauter Infrastruktur und im Vergleich zu Deutschland niedrigen Energiekosten. Hinzu komme in ihrem Fall die räumliche Nähe.

Waasner forderte aber auch weitergehende Anstrengungen: „Die Gaspreisbremse wird eine Brücke ins Nirgendwo, wenn wir es nicht schaffen, erneuerbare Energie schnell auszubauen.“ Auch die Anwendung des Fracking-Verfahrens zur Gewinnung von Erdgas sollte nach Auffassung der IHK angesichts der aktuellen Energiekrise in Deutschland in Betracht gezogen werden.

Zurückhaltung bei Neueinstellungen

Vor diesem Hintergrund sinkt auch die Bereitschaft vieler Betriebe, in der eigenen Region zu investieren und neue Arbeitsplätze zu schaffen. Stellvertretender IHK-Hauptgeschäftsführer Wolfram Brehm: „Die Unternehmen versuchen, die Herausforderungen anzunehmen und sich auf die neuen Rahmenbedingungen einzustellen.“ Mehr als zuletzt steckten sie Geld in Energieeffizienz, Rationalisierungen und Produktinnovationen.

Der Fachkräftemangel bleibe zwar ein wichtiger Aspekt, werde aber aktuell von drängenderen Themen überlagert. „Vielen Unternehmen steht das Wasser bis zum Hals. Sie halten sich bei Neueinstellungen zurück, solange die Unsicherheiten so groß sind“, so Brehm mit Blick auf die Umfrage. Nur jede zehnte Firma will demnach ihre Mitarbeiterzahl aufstocken. Die Kammer in Bayreuth rechnet folglich für 2023 mit einer rückläufigen Beschäftigtenzahl in der heimischen Wirtschaft. Die Standorttreue des Mittelstands sei aber nach wie vor ein herausragendes Merkmal Oberfrankens.

Die IHK zu Coburg meldet bei ihrem Konjunkturklima-Index mit 71 Punkten den niedrigsten bislang ermittelten Wert. Nur noch 36 Prozent der Unternehmen bewerten ihre aktuelle Lage als gut, wie eine neue Umfrage ergeben hat. Mit einer geschäftlichen Aufhellung rechnet kaum noch ein Betrieb, dagegen gehen rund zwei Drittel von einer Eintrübung aus. Vertreter nahezu aller Branchen nannten die „wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen“ als wesentliches Risiko für die Geschäftsentwicklung.

Auch Forscher warnen

IHK-Präsident Andreas Engel spricht von der „schwersten Energiekrise seit Jahrzehnten“ und einer bevorstehenden Rezession. „Im Wirtschaftsraum Coburg sind Unternehmen, Arbeitsplätze, Standort und Wohlstand in großer Gefahr“, warnt er.

Eine enorme Verunsicherung in seinem Wirtschaftszweig hatte jüngst auch der oberfränkische Handwerks-Präsident Matthias Graßmann im Interview mit unserer Zeitung beklagt. Aufgrund der vielen Krisenherde sei es für zahlreiche Betriebe „äußerst schwer bis unmöglich, belastbar über die kommenden Wochen und Monate zu kalkulieren“.

Unterdessen warnt das in München und Dresden angesiedelte Ifo-Institut, dass die Materialknappheit in der Industrie länger dauern könnte. Ifo-Forscher Joachim Ragnitz aus Dresden schreibt: „Zum Teil spiegeln sich darin dauerhafte Entwicklungen wider, die Folge weltweiter Änderungen in der Produktionsstruktur sind – etwa der zunehmende Bedarf an Halbleitern oder an Industrierohstoffen.“ Nur ein Teil der Engpässe sei auf die Verkettung von Krisen zurückzuführen, die sich „hoffentlich in den nächsten Monaten wieder abmildern werden – zum Beispiel die Folgen der Corona-Pandemie oder des Ukraine-Krieges“.

Der Bevölkerungsrückgang könnte nach Ansicht von Ragnitz künftig in Deutschland dauerhaft zu Produktionseinschränkungen führen. Außerdem bestehe die Gefahr, dass China bestimmte Rohstoffe verknappe und Preissteigerungen auslöse. Oder die Dekarbonisierung könne die Produktion in Deutschland zu teuer machen.

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