„Es gibt keinen Automatismus, dass alle Trennungskinder später unglücklichere Beziehungen haben als Kinder aus intakten Familien“, sagt Claus Koch, Psychologe und Buchautor. Zwangsläufig sozial vererbbar ist Scheidung also nicht.
Dafür spielen zu viele andere Faktoren eine Rolle: Welche Persönlichkeit hat das Kind? Wie alt war es bei der Scheidung? Wie lief die Trennung ab? Vor allem aber: Wie hat das Kind die Beziehung der Eltern vor der Trennung erlebt?
Denn was Eltern an ihre Kinder weitergeben, sind soziale Verhaltensweisen. Kinder beobachten, wie ihre Eltern mit Konflikten umgehen. Wird ständig geschrien, oder gibt es gar Gewalt, lernt das Kind: Das sind Wege, um Meinungsverschiedenheiten zu klären.
Wird in Familien nie offen über Gefühle geredet oder liebevoll miteinander umgegangen, fehlt Kindern diese Erfahrung später auch in den eigenen Beziehungen. „Das führt dazu, dass sich Kinder aus Trennungs- und Scheidungsfamilien statistisch betrachtet dann doch 1,5-mal häufiger scheiden lassen als solche aus intakten Elternhäusern“, sagt Claus Koch.
Gleichzeitig bedeutet das aber auch: Wenn die Eltern sich nicht scheiden lassen, ihre Beziehung aber von Streit und Kälte geprägt ist, hat das ebenfalls Auswirkungen auf die Entwicklung der Beziehungsfähigkeit ihrer Kinder.
„Es ist also nicht die Trennung, die ausschlaggebend ist, sondern wie Kinder ihre Eltern im Umgang miteinander erlebt haben“, sagt Claus Koch. Eine nach außen intakt wirkende Familie kann eben auch bloß Fassade sein.
Moritz Löffler hat mit zwölf Jahren den Kontakt zu seinem Vater abgebrochen. Seine beiden älteren Schwestern nicht. Sie haben ihre Eltern länger in ihrer Beziehung miteinander erlebt. Aber dann auch die Hilflosigkeit und die Wut, dass all das, was viele Jahre ihre Familie war, plötzlich endete.
Moritz Löffler erzählt, dass seine Schwestern bis heute sehr offene Beziehungen führen. „Ich bin mir sicher, sie haben Angst, sich fest zu binden.“ Moritz Löffler kann heute – auch dank seiner Therapie – rückblickend reflektieren, was die Trennung mit ihm und seiner Familie gemacht hat.
Dass das erst so viele Jahre später passiert, ist Claus Koch zufolge keine Seltenheit. „Kinder vergessen diese Trennungserfahrung ein Leben lang nicht, dafür ist sie zu einschneidend. Und zwar völlig unabhängig davon, wie die Trennung abgelaufen ist.“
Prägend sei vor allem das erlebte Ohnmachtsgefühl: Egal wie die Kinder sich verhalten, sie können an der Trennung der Eltern nichts ändern. Und ausgerechnet die Eltern, die ihnen so nahe stehen, verletzen sie, nehmen ihnen die Familie. „In diesen Punkten hat eine Scheidung für Kinder Parallelen zu einem Trauma“, sagt Claus Koch.
Wenn erwachsene Scheidungskinder ihre eigene Familie gründen, holen sie diese Erlebnisse oft wieder ein – aber sie sollen sich ja nicht wiederholen. „Ich erlebe häufig Scheidungskinder, die dann anfangen, sich zu fragen: Wie komme ich eigentlich mit der Trennung meiner Eltern klar? Hat sie Auswirkungen auf mein eigenes Vertrauen in andere Menschen?“ Wer dabei feststellt: Ja, da ist etwas, das mich stört, dem rät Koch zu professioneller Hilfe. „So etwas wie Bindungsängste kann man wieder loswerden, egal in welchem Alter.“
Noch besser ist es natürlich, wenn es erst gar nicht so weit kommt. Und das haben die Eltern tatsächlich selbst in der Hand – bestenfalls mit einer gut funktionierenden Beziehung, zumindest aber mit einem vernünftigen Umgang mit Konflikten und der Trennung.
Ganz wichtig: Offen mit den Kindern reden
Wenn es den Eltern gelingt, offen über die Trennung und ihre Gefühle zu kommunizieren, die Kinder einzubeziehen und als Eltern im Austausch zu bleiben, auch wenn sie kein Paar mehr sind, wirkt sich das Koch zufolge positiv darauf aus, dass bei den Kindern keine Bindungsängste oder Beziehungsunfähigkeit zurückbleibt.
Nach dem Herumreisen will Moritz Löffler mit seiner Familie nach Portugal auswandern. Auch deshalb war es ihm wichtig, ein klärendes Gespräch mit seinem Vater zu suchen. Es habe ihm sehr geholfen, dem Vater endlich einmal zu erzählen, wie er die Trennung und den Kontaktabbruch erlebt hat. Obwohl das Gespräch sehr gut verlaufen sei, habe von beiden Seiten bisher nicht das Bedürfnis bestanden, mehr daraus zu machen.
Moritz Löffler fokussiert sich auf seine eigene Familie und darauf, mit ihr möglichst viele schöne Marmeladenglasmomente zu sammeln.
Wie Kinder gut durch die Scheidung kommen
Rund 130 000 Kinder
in Deutschland verlieren jedes Jahr durch Scheidung ihre Familie. Über all die Jahre summiert sich das auf ungefähr 15 Millionen Scheidungskinder im Alter zwischen 0 und 100 Jahren. Nimmt man sämtliche Trennungskinder hinzu, kommt man noch auf sehr viel höhere Zahlen, doch diese lassen sich statistisch nicht erfassen.
Kleine Kinder
Kinder, die zwischen drei und sieben Jahren alt sind, wenn sich die Eltern trennen, erleben die größten Verlustängste. Einerseits bekommen sie schon viel mehr mit als jüngere Kinder, andererseits sind sie noch komplett von den Eltern abhängig. Die Verlustangst kann soweit führen, dass Kinder es im Kindergarten oder in der Schule nicht mehr aushalten und heim wollen, weil sie Angst haben, ihr Vater oder ihre Mutter könnte einfach verschwinden. Um das zu verhindern hilft es, wenn Eltern nach der Trennung möglichst viele Alltagsroutinen beibehalten. Wer das Kind immer zum Schwimmunterricht gebracht hat, macht das weiterhin, wer fürs Haare schneiden zuständig ist, behält das bei.
Ältere Kinder
sorgen sich bei einer Trennung mehr um existenzielle Dinge: Wo können wir wohnen? Findet meine Mutter noch einen Job, nachdem sie so lange zu Hause war? Reicht das Geld? Müssen wir woanders hinziehen? Hier empfehlen Experten Eltern offen und ehrlich mit den Kindern sprechen und sie keinesfalls in Loyalitätskonflikte hinein ziehen.
Späte Scheidung
Als recht neu bezeichnet Claus Koch die Entwicklung, dass sich auch noch Eltern bereits erwachsener Kinder scheiden lassen. „Man könnte meinen, diese Kinder haben es am einfachsten. Aber das stimmt nicht. Zwar ist ihre Abhängigkeit von den Eltern nicht mehr so groß. Dafür quält sie der Gedanke: Meine Eltern haben mir jahrelang etwas vorgemacht.“ Auch hier hilft nur eine möglichst offene Kommunikation mit den Kindern.