Pflege in Kulmbach Der Mensch ist nicht zum Alleinsein gemacht

Viel Spaß und höchste Konzentration: Daniela Kupsch (von links) spielt „Mensch ärgere Dich nicht“ mit ihren Gästen Kunigunde Stenglein, Hans-Jürgen Beck und Barbara Fischer. Foto: /Melitta Burger

„Wir brauchen Gesellschaft“, sagt Kunigunde Stenglein. Die 85-Jährige hat sich deshalb für die Tagespflege entschieden. Da trifft sie nette Leute, kann sich unterhalten und trotzdem in ihren eigenen vier Wänden bleiben.

 
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In der „Tagespflege am Weißen Turm“ des BRK herrscht schon am Vormittag reges Treiben. Im Hintergrund ist der Mixer zu hören. Zwei der Gäste, die diese Einrichtung besuchen, sind leidenschaftliche Bäckerinnen. Sie rühren gerade den Kuchen ein, den es dann ganz frisch für alle zum Nachmittagskaffee geben wird. Rezepte haben die meisten, die werden genutzt und ausgetauscht. Eine kleine Gruppe hat sich in eine gemütliche Ecke zurückgezogen. Man spricht miteinander, überlegt, ob man einen Ausflug auf den Wochenmarkt machen soll und verwirft den Gedanken mit Blick auf den wolkenverhangenen Himmel wieder. Langweilig wird es trotzdem keinem. Es gibt eine Menge zu tun, zu erleben und zu bereden für die Senioren am Weißen Turm.

Der Probetag war ein Volltreffer

An einem Tisch haben Barbara Fischer (86), Kunigunde Stenglein (85) und Hans-Jürgen Beck (74) Platz genommen. Einrichtungsleiterin Daniela Kupsch setzt sich dazu. Das „Mensch ärgere Dich nicht“ wird aufgebaut. Sofort herrscht höchste Konzentration, und auch ein gewisser Ehrgeiz kommt auf. Wer hat es nicht lieber, zu gewinnen? Wer ärgert sich nicht am Ende doch ein kleines bisschen, wenn einem der Spielpartner einen Stein kurz vor dem Loch hinauswirft? Ausgesprochen lebendig geht es zu bei diesem Spiel. Ob es Spaß macht, braucht man nicht zu fragen. Man sieht es und hört es.

Barbara Fischer kommt vom Ammersee. Als ihr Mann starb, ist sie vor Jahren in die Nähe ihrer Schwester gezogen und lebt jetzt in Kulmbach. Eines Tages sei ein Prospekt in ihrem Briefkasten gewesen mit Werbung für die Tagespflege. „Da hab ich gedacht, das schaust du dir mal an, weil ich immer alleine bin.“ Der Probetag war ein Volltreffer. Seither kommt sie viermal pro Woche zum Weißen Turm. „Da ist immer jemand da, wenn man einen braucht.“

Kunigunde Stenglein kennen wohl viele Kulmbacher noch von der Metzgerei in der Blaich. Auch sie ist Gast in der Tagespflege und begeistert. Ihr Enkel habe sie bewegt, sich in der Einrichtung anzumelden. „Mensch, das wär doch was für dich, hat er gesagt, und da hab ich das halt gemacht. Mein Enkel ist ganz begeistert. Er sagt, Oma, du bist ja ganz anders seither.“ Auch sie lebt allein. Ihr Mann ist gestorben, die Familie längst aus dem Haus. Ungewohnt sei es für sie gewesen, niemanden mehr um sich zu haben. „Das ist einfach nichts. Wenn man gewöhnt war, immer Menschen um sich zu haben, kann man nicht alleine sein.“ Eine Stunde Ruhe, sagt sie, sei ja ganz schön, „aber mehr nicht.“ Alles gefalle ihr während der Tage in der Einrichtung des BRK. „Die Spiele sind schön, die Menschen hier sind aufgeschlossen.“

Der Mensch ist nicht zum Alleinsein gemacht

Hans-Jürgen Beck sitzt im Rollstuhl. Der ehemalige Installateur und Heizungsbauer kann sich nur noch ganz schlecht bewegen. Oberschenkelhalsbrüche auf beiden Seiten und einiges mehr schränkt ihn ein. „Ich habe fast alles.“ Ohne die Tagespflege wäre auch der alleinstehende Mann in seiner Wohnung sehr einsam, wie er sagt. Drei Tage die Woche hat er die Tagespflege gebucht. Seine Betreuerin hat es ihm empfohlen. Beck gibt ihr recht. Leidenschaftlich spielt er Halma, Mühle und Mensch ärgere Dich nicht. Und weil es für ihn nicht einfach ist, die Steine zu bewegen, helfen die anderen mit. Ein Team sind die Menschen geworden. Sie halten zusammen, helfen sich. Das beschreiben alle als sehr positiv.

Kunigunde Stenglein macht Werbung für diese Form der Seniorenbetreuung. „Hier habe ich Ansprache und mache mit, was mir Spaß macht.“ Ideal findet es die 85-jährige Frau, dass sie mit Hilfe der Tagespflege Gesellschaft hat, Betreuung erfährt und trotzdem nicht aus ihrem Zuhause ausziehen muss. Kunigunde Stenglein lebt immer noch in der Blaich. Für die Tagespflege wird sie von Mitarbeitern des BRK morgens abgeholt und abends wieder zurückgebracht. Dann genießt sie ihr Daheim, freut sich aber auch gleichzeitig schon wieder, an den Weißen Turm zurückzukehren. „Der Mensch ist nicht zum Alleinsein gemacht.“

Langsam kommt wieder Schwung in die Sache

Genau deshalb, sagt Daniela Kupsch, gebe es die Tagespflege. „Etwas Besseres gibt es nicht für Senioren, die in ihrem häuslichen Umfeld bleiben wollen, aber sich doch nicht mehr den ganzen Tag selbst versorgen können.“ Den Begriff Tagespflege würde Daniela Kupsch aber am liebsten ändern. „Betreuung wäre besser.“ Daniela Kupsch und ihr Team unternehmen viel mit ihren Gästen. Von Sport über Spiel bis zum gemeinsamen Kochen ist fast alles im Angebot. Manchmal werden Ausflüge gemacht. Ein Bummel durch die Stadt steht öfter auf dem Programm. „Da treffen sich dann manchmal Leute wieder, die sich schon ewig nicht gesehen haben.“ Freunde finden, wieder am Leben teilhaben, aktiv sein und auch das Gefühl, gebraucht zu werden: Das mache die Tagespflege aus. Die hat, wie Daniela Kupsch erzählt, durch die Pandemie einen herben Rückschlag erlitten. „Die Nachfrage war enorm, dann kam Corona. Viele wollten vor Angst nicht mehr raus.“ Das war nicht einfach für die Einrichtung am Weißen Turm mitten in der Kulmbacher Altstadt, die erst seit einem Jahr offen hat. Doch langsam komme wieder Schwung in die Sache. 20 Plätze kann die Einrichtung anbieten, nicht alle sind besetzt.

Corona allein sei es nicht, was oftmals die Senioren zurückhält. „Viele wissen gar nicht, dass die Tagespflege eine zusätzliche Leistung der Pflegekasse ist“, erklärt die Einrichtungsleiterin. Wer zu Hause einen Pflegedienst in Anspruch nimmt, muss deswegen weder auf das eine noch das andere verzichten. Man kann beides haben. Pflegegeld und Pflegesachleistungen werden davon nicht berührt, wenn man zusätzlich Tagespflege bucht. 25,73 Euro beträgt der Eigenanteil in dieser Einrichtung pro Tag, der Entlastungsbeitrag von monatlich 125 Euro kann zudem bei der Pflegekasse geltend gemacht und mit dem Tagessatz verrechnet werden. Dafür bekommt man ein komplettes Versorgungspaket von früh bis spät mit Hol- und Bringdienst, Behandlungspflege, wenn nötig, drei Mahlzeiten und weitere Zwischenmahlzeiten sowie jede Menge Programm, um den Tag abwechslungsreich zu gestalten.

Die beste Voraussetzungen, fortschreitende Demenz zu bremsen

Wer nur eine kleine Rente hat, muss deswegen auch nicht auf dieses Angebot verzichten. Es gibt, wie Daniela Kupsch informiert, die Möglichkeit, einen Antrag auf über die Leistung der Pflegekasse hinausgehende Kostenübernahme zu stellen. Die Ausgabe lohnt sich, ist die Leiterin der Tagespflege überzeugt. So sei es für Senioren länger möglich, in ihrer Wohnung zu bleiben und trotzdem gut versorgt zu sein. Und überhaupt: „Wo hat man schon ein Hotel, das all inclusive mit Essen und Trinken für 25,73 Euro täglich zu haben ist?“

Tagespflege macht fit und hält fit. Das sagen nicht nur Barbara Fischer, Kunigunde Stenglein und Hans-Jürgen Beck. Daniela Kupsch erzählt von einer Frau, die unter Demenz leidet und die Tagespflege besucht. Sie lebt auf, wenn sie jemanden findet, mit dem sie Dame spielen kann und ist alles andere als ein einfacher Gegner. Aktive Beschäftigung und Gesellschaft, das sind laut Daniela Kupsch beste Voraussetzungen, um fortschreitende Demenz zu bremsen. „Tapetenwechsel für pflegebedürftige Menschen und Entlastung für pflegende Angehörige“ biete diese Form der Betreuung. Wer mag, kann sich bei einem kostenlosen Schnuppertag anschauen, ob dieses Angebot für ihn passt. Wie oft und wie lang man pro Woche die Einrichtung besucht, kann sich jeder individuell aussuchen. Fünf Tage pro Woche können, müssen aber nicht sein.

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