Rehau Leben unter ständiger Bedrohung

Manfred Köhler
Leben unter ständiger Bedrohung Quelle: Unbekannt

Der investigative Reporter Jonas Miller aus Nürnberg referiert in Rehau über die rechtsextreme Szene und den NSU in Bayern. Ein Vortrag unter Polizeischutz.

 
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Rehau - Wie fühlt es sich an, per E-Mail die eigene Todesanzeige zu erhalten? Der investigative Reporter Jonas Miller aus Nürnberg lebt mit solchen Bedrohungen seit über zehn Jahren. Unbekannte seien sogar schon ins Haus seiner Eltern eingedrungen und hätten Parolen hinterlassen. Auf der Straße werde er nicht selten angepöbelt und beleidigt.

Auch weil die letzte Todesdrohung gerade mal ein paar Tage zurücklag, stand nun am Freitagabend der Vortrag Millers im Alten Rathaus Rehau unter Polizeischutz. "Wie stark sind die rechtsextreme Szene und der NSU in Bayern", lautete das Thema. Nach seinen Auftritten in Weiden, Ansbach und Lauf hatte Petra Schultz von der Allianz gegen Rechtsextremismus der Metropolregion Nürnberg Jonas Miller auch nach Rehau eingeladen.

Über das Gefühl ständiger Bedrohung spricht er dabei eher gelassen: "Das ist nervig, aber man darf sich nicht einschüchtern lassen", betont er. Was ihn weitermachen lasse, sei die Solidarität, die er von allen Seiten erfahre. Und zum eigenen Schutz habe er nach Gesprächen mit dem Landeskriminalamt seine Tagesabläufe der Lage angepasst.

Aber was macht den 30-jährigen freien Journalisten eigentlich zum besonderen Ziel von Bedrohungen der rechten Szene? Neben seiner Tätigkeit unter anderem für den Bayerischen Rundfunk oder Zeit Online befasst er sich insbesondere mit der nordbayerischen Neonazi-Szene und der rechtsextremen Terrorzelle NSU. In seinem Vortrag gab er vor rund 30 Gästen zunächst einen Überblick über die Entwicklung seit dem Jahr 2001 und die streng hierarchischen Strukturen der Szene. Ein aktueller Trend sei es, dass verschiedene Gruppierungen bei Demonstrationen gemeinsam aufträten und dabei auch den Schulterschluss mit eher bürgerlichen Teilnehmern suchten. Mit dieser "Misch-Szene" versuche man, Kräfte zu bündeln. Die Vernetzung dabei laufe über russische Chats.

Speziell zur NSU-Mordserie sagte Jonas Miller, viele Vorgänge im Hintergrund seien noch immer nicht vollständig aufgeklärt. Die These eines "Kerntrios" der Mitglieder Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe halte er für falsch. Dabei verwies er auf die sogenannte Garagenliste mit bundesweiten Kontaktdaten. Inzwischen habe man auch andere ehemalige Kader ausfindig gemacht. Allerdings seien viele Fragen noch offen, zum Beispiel: "Wer hat die Opfer ausgewählt - und wer hat geschossen?" Mindestens eine Person sei noch auf freiem Fuß, die damals ganz nah dran gewesen sei.

In der sehr langen und ausführlichen Diskussion im Anschluss an den Vortrag interessierten sich die Gäste vor allem für die Lage in der Region Hof. Jonas Miller antwortete, auch hier gebe es organisierte Rechte, die aber großteils nicht in der Öffentlichkeit stünden. Außerdem habe sich die Szene in Oberfranken, die früher ein Sammelpunkt gewesen sei, inzwischen sehr stark nach Sachsen und Thüringen verlagert. Im Gegensatz zur bundesweiten Strategie, die Straße zu erobern, versuche man hier, in die Stadtparlamente zu gelangen.

Gut informiert zeigte sich der Journalist auch über die Vorgänge in Hochfranken. Die Gäste seines Vortrags wollten wissen, wie er die jüngste Antifa-Demo gegen rechte Aufmärsche in Wunsiedel einschätze: Ist das ein gutes Zeichen, wenn die Antifa in die Provinz kommt, oder schadet es den Zielen von "Wunsiedel ist bunt"? Jonas Miller meinte, der Auftritt der Antifa sei wegen der Bilder, die man aus Großstädten kenne, eher abschreckend. Es gebe zwar Beispiele aus kleineren Städten, in denen sich Bürger mit der Antifa gegen die rechte Szene solidarisiert und eine Wirkung erzielt hätten, aber: "Ob sich das auch in Wunsiedel so entwickeln könnte, lässt sich nicht sagen."

Neben vielen weiteren Diskussionspunkten, zum Beispiel ob V-Männer des Verfassungsschutzes den Aufbau rechtsextremer Strukturen sogar fördern könnten, wollten die Gäste auch wissen, ob Jonas Miller von jüngsten Demonstrationen gegen Journalisten betroffen gewesen sei. Der Reporter verneinte das und verwies auf eine andere Strategie seiner Gegner: "Man versucht, uns durch Klagen auszubremsen." Aber das öffentliche Interesse an dem Thema lasse nicht nach. Aktuell habe man eine Person in Oberfranken im Visier, die zwar aus der Szene ausgestiegen sei, aber nicht reden wolle. Jonas Miller versicherte: "Das spornt uns erst recht an, weiter zu recherchieren."

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