Ein 2000 Kilometer langer Endspurt
Inzwischen haben die Führenden auf ihrem Rückweg nach Les Sables-d‘Olonne den Äquator zum zweiten Mal überquert und liefern sich auf den letzten 2000 Kilometern ein spannendes Kopf-an-Kopf-Rennen. „Es ist ein schönes Gefühl, wieder auf der heimischen Nordhalbkugel zu sein“, sagte Herrmann erleichtert, nach einem zuletzt von Flautenlöchern und Sturmböen durchsetzten Kurs wieder etwas ruhigeres Fahrwasser zu erreichen – Gefahren lauern allerdings auch dort. Die Segler haben zwar Kameras installiert, mit denen sie die See rundum im Blick haben, Kollisionssysteme warnen vor unerwarteten Hindernissen wie im Wasser treibende Container und ein spezieller Pieper soll schlafende Wale aufwecken – das alles ist aber keine Garantie für eine unfallfreie Fahrt.
Nur wenige Tage vor Zielankunft liegt Herrmann, der sich selbst als „eher ängstlichen Segler“ beschreibt, auf dem zweiten Platz und könnte als erster Nicht-Franzose nach dem Sieg greifen. Mit seiner risikoärmeren Wettkampfstrategie bewahrte er seine Hightech-Jacht während schwerer Wetterkapriolen im Südpolarmeer vor Schäden und könnte davon nun profitieren.
Der Grund: Die Rivalen Charlie Dalin und Thomas Ruyant (LinkedOut) müssen beide mit gebrochenen Backbord-Foils zurechtkommen. Der ebenfalls gut platzierte Louis Burton (Bureau Vallée 2) hat kleinere Foils als Herrmann, was bedeutet, dass der Deutsche bei guten Bedingungen wesentlich schneller unterwegs sein kann. „Rang zwei fühlt sich gut an für die Moral, aber ich habe keine Festbuchung für einen Podiumsplatz“, sagte der 39-Jährige am Donnerstag. „Es wird sehr eng. Es wird eine harte Woche, auf die ich mich aber freue.“
Der Traum vom kühlen Bier
Einen Traum wird sich für den Herrmann aber ziemlich sicher erfüllen: Ankommen! Ein solches Rennen sei am Ende nicht nur ein Sieg über alle Gefahren, sondern auch über sich selbst, sagt der Skipper. Und wenn der Hamburger Mitte kommender Woche in Les Sables-d‘Olonne wieder festen Boden unter den Füßen hat, wird er sich seinen im Moment größten Wunsch erfüllen können: in Ruhe ein kaltes Bier trinken und nach 80 Tagen Einsamkeit endlich wieder mit Menschen reden.
Namensgeber des Einhand-Segelrennens über 24 000 Seemeilen ist das westfranzösische Département Vendée in Frankreich. Gestartet wird alle vier Jahre im Küstenort Les Sables-d’Olonne im November, weil zu dieser Jahreszeit die meteorologischen Verhältnisse im Südpazifik am günstigsten sind. Fixpunkte der Strecke sind das Kap der Guten Hoffnung, Kap Leeuwin und Kap Hoorn. Damit die Teilnehmer nicht einen gefährlichen Weg durch das Eismeer der Antarktis einschlagen, müssen noch einige andere Wegepunkte abgesegelt werden. Weil es in der Vergangenheit immer wieder zu schweren Unfällen kam, wurden die Sicherheitsstandards immer wieder verschärft. So muss sich das Boot etwa nach dem Durchkentern selbst wieder aufrichten.