Er hatte nach Sichtung der wissenschaftlichen Daten ausgerechnet, dass jede Doppelstunde Sitzen das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen um fünf Prozent anhebt. Wenn man das auf deutsche Verhältnisse umrechnet, kommt da einiges an Risikopotenzial für Leib und Leben zusammen. Denn laut aktuellem Gesundheitsreport der Deutschen Krankenversicherung (DKV) befindet man sich hierzulande pro Werktag 9,2 Stunden in sitzender Position. Das bedeutet eine Steigerung des Herz-Kreislauf-Risikos um 22,5 Prozent.
Die Evolution hatte noch keine Zeit, den Körper des Menschen auf das lange Sitzen einzustellen
Doch warum ist das bequeme Sitzen eigentlich eine potenziell so tödliche Angelegenheit? Die Antwort gibt James Levine von der Mayo-Klinik im US-amerikanischen Scottsdale: „Es setzt den Körper auf vielfältige Weise unter Stress.“ Mit allen damit einher gehenden – schädlichen – Effekten auf Herz, Kreislauf, Atmung und Hormonhaushalt. Und der Stressfaktor resultiere daraus, so der Endokrinologe weiter, dass Sitzen entwicklungsgeschichtlich zu jung für uns ist.
Der Homo sapiens der Steinzeit saß nämlich noch – wenn überhaupt – im Fersensitz, in dem er es nur einige Minuten lang aushielt, sodass immer wieder Gewichtsverlagerungen erfolgten. Als dann jedoch im Zuge der Zivilisation spezielle Sitzmöbel eingeführt wurden, konnte er plötzlich sehr lange und sehr passiv sitzen bleiben. Sein Körper und auch seine Psyche waren aber darauf nicht eingestellt, und die Evolution hatte bisher nicht Zeit genug, um an ihnen nachzubessern. „Uns fehlen schlichtweg die Voraussetzungen fürs lange Sitzen“, so Levine.
Schon eine halbe Stunde Bewegung soll die Gesundheitsrisiken durch Sitzen ausgleichen
Gründe genug also, etwas an seinem Sitzenbleiber-Dasein zu ändern. Und dazu müssen wir uns nicht auf schweißtreibende Jogging-Ausflüge oder zermürbende Runde im Fitness-Center begeben. Denn die taiwanischen Forscher konnten in ihrer Studie beobachten, dass die mittlere Gruppe, also die der unregelmäßig Sitzenden, im Vergleich zur aktivsten Gruppe kein sonderlich erhöhtes Sterberisiko aufwies. Man muss also nur gelegentlich vom Stuhl oder Sessel aufstehen. Gao schätzt, „dass 15 bis 30 Minuten Bewegung pro Tag ausreichen, um die Gesundheitsrisiken des Sitzens auszugleichen“.
Der taiwanische Forscher rät überdies zu kulturellen und beruflichen Veränderungen, um langes Sitzen am Arbeitsplatz zu „entnormalisieren“. Wobei das im eigentlichen Sinne des Wortes gemeint ist: Dass also weniger das Sitzen, als vielmehr das Gegenteil davon der Norm im gesellschaftlichen Leben entsprechen sollte. Ähnliche Initiativen im Bereich der öffentlichen Gesundheit gab es ja schon beim Rauchen – und sie hatten Erfolg. Man denke nur an die Verbannung der Glimmstängel aus öffentlichen Gebäuden und Verkehrsmitteln, an die Schaffung von abgegrenzten und als Raucherbereiche markierten Zonen und Räumen. Seitdem ist die Zahl der Tabaknutzer deutlich zurückgegangen.
In puncto Sitzen könnte man, so Gao, „regelmäßige Bewegungspausen, die Einführung von Stehpulten, die Einrichtung von Bereichen am Arbeitsplatz, in denen man sich körperlich betätigen kann, und das Angebot einer Mitgliedschaft im Fitnessstudio einführen“. Diese Veränderungen könnten dazu beitragen, die Kultur und die Wahrnehmung des langen Sitzens am Arbeitsplatz zu verändern. Nach dem Muster: Wenn Bewegung zum gesellschaftlichen Standard und der Sitzenbleiber zum Außenseiter wird, werden immer mehr in Bewegung kommen.
Je mehr Schritte, desto geringer das Risiko eines frühen Todes
Studie
Ein internationales Forscherteam um den polnischen Kardiologen Maciej Banach publizierte kürzlich eine Studie, wonach man nicht die weithin empfohlenen 10 000 Schritte unternehmen muss, um sich gesund zu halten. Demzufolge reichen schon 4000 Schritte, um das Risiko eines frühen Todes signifikant zu senken. Und bereits 2337 schützen vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
Zusatzeffekt
Banach betont, dass jeder weitere Schritt einen Zusatzeffekt bringt: „Je mehr man läuft, umso besser.“ Weitere 1000 Schritte zusätzlich verringerten ein frühzeitiges Sterberisiko um 15 Prozent.