Ukraine gerät in Defensive: „Es gibt keine Wunderwaffen“

Roland Töpfer
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Interview: Wie groß ist die Gefahr einer Ausweitung des Krieges?

 
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Russland Angriffskrieg gegen die Ukraine ist ein Dauerthema. Ein Gespräch mit Professor Johannes Varwick, der zu den profilierten deutschen Sicherheitsexperten zählt, über die jüngsten Entwicklungen:

Herr Professor Varwick, die Ukraine gerät immer mehr in die Defensive. Droht ein Dammbruch?

Das ist zumindest vorstellbar. Die westliche Strategie zielt darauf ab, die Verhandlungsposition der Ukraine durch Erfolge auf dem Schlachtfeld zu verbessern. Das ist völkerrechtlich legitim und moralisch verständlich. Doch sicher ist, dass die mit unrealistischen Erwartungen verbundene Offensive der Ukraine im vergangenen Jahr gescheitert ist und stattdessen die Ukraine an der Front unter Druck gerät. Das lässt sich nicht mehr allzu lange durchhalten.

Russland hat mehr Soldaten, mehr Kriegsgerät, mehr Munition. Wie kann man den Angreifer stoppen?

Jedenfalls wohl nicht alleine mit immer mehr Waffenlieferungen. Es gibt keine Wunderwaffen, die an dieser Lage etwas Grundlegendes ändern, sondern das führt nur dazu, dass Russland weiter eskaliert. Solange der Westen nicht bereit ist, für die Ukraine in den Krieg zu ziehen und damit den Dritten Weltkrieg zu riskieren geht das also wohl ausschließlich durch eine politische Lösung, die auch russische Interessen berücksichtigt. Das ist bitter, aber ohne verantwortbare Alternative.

Der Nachschub des Westens stockt. Sehen wir bereits eine Vorentscheidung in diesem Krieg?

Niemand kann das Ergebnis von militärischen Auseinandersetzungen präzise vorhersagen, weil Krieg von Überraschungen lebt. Es wäre aber ein Wunder, wenn die Ukraine ihre durchaus legitimen Ziele erreicht und Russland sich komplett aus der Ukraine zurückzieht. Zugleich hat aktuell keine Seite die Fähigkeit, einen schnellen militärischen Sieg über die andere Seite zu erzielen: Russland nicht, weil die massive Unterstützung des Westens die Ukraine stärkt und die Ukraine nicht, weil Russland weiterhin hohe Durchhaltefähigkeit und Eskalationsdominanz hat. Das ist angesichts der düsteren Prognosen der ersten Kriegswochen durchaus ein Erfolg für die Ukraine. Allerdings einer, der mit hohen Opferzahlen, erheblicher Zerstörung des Landes und vollkommener Abhängigkeit von politischer, finanzieller und militärischer westlicher Hilfe verbunden ist.

Der Westen fährt die Rüstungsproduktion hoch. Das wird die Ukraine in einigen Monaten wieder stärken?

Das wollen uns diejenigen weiß machen, die für immer mehr Waffenlieferungen sind. Ich sehe das nicht.

Deutschland setzt sehr eindimensional auf Waffenlieferungen. Wo bleibt die Diplomatie?

Das frage ich mich auch. Durchhalteparolen ersetzen keine Politik. Doch nach zwei Jahren Krieg stellt sich ein anderer Eindruck ein. Der russische Überfall verletzt alle Normen des Völkerrechts und ruft vollkommen zu Recht Empörung und Widerstand hervor. Doch dabei geht zugleich der Blick für politische Initiativen verloren, die mit Realismus und Pragmatismus einen Ausweg aus der Lage bieten könnten.

Welchen Einfluss hat denn Deutschland überhaupt mit Blick auf eine mögliche Friedenslösung?

Der ist sicher begrenzt, aber Deutschland könnte das Lager derjenigen stärken, die realistische Lösungen in die Debatte einbringen. Da kommt aber, zumindest öffentlich, nichts.

Wie groß ist die Gefahr einer Ausweitung des Krieges?

Leider recht groß. Denn es ist keineswegs sicher, dass aus der blutigen Pattsituation nicht doch eine weitere Rutschbahn entsteht. Denn zu befürchten ist, dass der Krieg in der Ukraine in einen Krieg um die Ukraine eskaliert – und damit doch in eine militärische Auseinandersetzung zwischen der Nato oder einzelnen Nato-Staaten und Russland münden könnte.

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