VER Selb "Die Vorfreude hält sich heuer in Grenzen"

Der VER Selb startet am Freitag in die neue Saison der Eishockey-Oberliga. Wölfe-Vorsitzender Jürgen Golly spricht über die vielen Herausforderungen, Ziele, Leihspieler aus der DEL und nicht genehmigte Corona-Tests.

 
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Herr Golly, am Freitag fällt endlich der Startschuss für die neue Saison. Spüren Sie schon das Feuer und die Vorfreude?

Die Wölfe zählen zu den Titelkandidaten

Fast 1400 User haben bei einer Online-Umfrage der Fachzeitschrift "Eishockey News" über die Oberliga Süd teilgenommen. Auf die Frage, wer Hauptrunden-Meister wird, legten sich - etwas überraschend - 30 Prozent der User auf die Starbulls Rosenheim fest. 19 Prozent der Stimmen erhielt Titelverteidiger Eisbären Regensburg, danach folgt mit 16 Prozent der Stimmen bereits der VER Selb vor dem Deggendorfer SC (13). Auf den Plätzen fünf bis sieben folgen die Memmingen Indians, der SC Riessersee (jeweils 8 Prozent) und der ECPeiting (2).

Die Starbulls Rosenheim liegen mit 29 Prozent der Stimmen der Umfrage-Teilnehmer auch auf Platz eins bei der Frage, welcher Club sich am besten verstärkt hat. Zu den Oberbayern sind im Sommer unter anderem Curtis Leinweber (Deggendorf), Kyle Gibbons (Duisburg) und Dominik Kolb (Selb) gewechselt. Knapp hinter Rosenheim auf Platz zwei der Frage nach den besten Verstärkungen liegt der VER Selb mit 27 Prozent. Allerdings war bis zum Ende der Umfrage die Selber Verpflichtung des DEL-erfahrenen Marius Möchel noch nicht bekannt. Mit jeweils neun Prozent der abgegebenen Stimmen folgen Deggendorf und Memmingen auf den Plätzen drei und vier vor dem EV Weiden.

Als spektakulärster Neuzugang wird mit 45 Prozent der Stimmen Brad Snetsinger angesehen. Der Spieler des Jahres und Topscorer der Saison 2019/20 wechselte im Sommer bekanntlich aus Memmingen nach Selb. Mit deutlichem Abstand folgen Kyle Gibbons und Andreas Geigenmüller, der vom EHC Bayreuth zu den Eisbären Regensburg gewechselt ist. A.P.

Die Vorfreude hält sich heuer, ehrlich gesagt, in Grenzen. Sie ist nicht mehr mit der aus den vergangenen Jahren zu vergleichen. Es ist einfach eine komische Situation und die Stimmung gedrückt.

Waren die vergangenen Monate mit Corona die schwierigste Zeit für Sie als Vorsitzender des VER Selb?

Es gab in den vergangenen 15, 16 Jahren viele schwierige Phasen. Ich weiß nicht, ob die jetzige die schwierigste ist. Aber sie ist auf jeden Fall die herausforderndste. Es ist nichts planbar, das ist das Problem an der Geschichte.

Was ist oder war für Sie die größte Herausforderung?

Man steht wöchentlich, ja täglich vor neuen Problemen. Spielen wir oder spielen wir nicht? Vor Zuschauern oder ohne? Wir haben, und das war unheimlich schwierig, ein Hygienekonzept entwickelt für Spiele mit Fans. Das ist jetzt plötzlich wieder Makulatur.

Wie sehr zerrt die Ungewissheit an Ihren Nerven?

Sehr. Man weiß nicht, wenn man früh aufsteht, was einen wieder erwartet. Was man neu überdenken oder organisieren muss.

Wie viele Videokonferenzen mit Vorstandskollegen, dem Deutschen Eishockey Bund und anderen Vereinen haben Sie im vergangenen halben Jahr so hinter sich?

(lacht) Eine genaue Zahl kann ich nicht sagen, ich habe nicht mitgezählt. Aber 40 oder 50 waren es mit Sicherheit.

Die Saison wird mit Geisterspielen im gesamten November starten. Wie lange können die Vereine mit Spielen vor leeren Rängen überleben?

Das ist eine schwierige Frage. Ohne staatliche Entschädigung für den Ticketausfall ginge das überhaupt nicht. Durch die Corona-Hilfe für den Profisport wird zumindest ein Teil abgefedert. Aber es fehlen trotzdem noch die Einnahmen durch das Catering oder den Verkauf von Fanartikeln. Eine komplette Saison mit Geisterspielen wäre deshalb sehr problematisch. Ich behaupte, dann wäre es für jeden Verein aus der DEL 2 oder der Oberliga schwierig, zu überleben.

Hat der VER Selb den Antrag zum Corona-Hilfspaket bereits gestellt?

Ja, das haben wir.

Aus diesem 200 Millionen schweren Hilfspaket des Bundes für den Profisport können Vereine bis zu 80 Prozent ihrer ausbleibenden Ticketeinnahmen vom 1. April bis zum 31. Dezember dieses Jahres erhalten. Welchen Zuschuss der VER beantragt hat, werden Sie uns sicher nicht verraten wollen?

Richtig, ich werde keine Zahlen nennen.

Was passiert, wenn das Hilfspaket zum Ende des Jahres ausläuft?

Wir brauchen die Unterstützung auch über diesen Termin hinaus. Sonst ist kein Spielbetrieb möglich.

Auch wenn es nur ein Tropfen auf den heißen Stein ist: Ein bisschen Geld kommt neuerdings auch durch Liveübertragungen bei SpradeTV in die Vereinskasse. Wieviele Buchungen hatte der VER am Wochenende in den ersten Spielen gegen Leipzig?

Am Freitag waren es etwas mehr als 600 Buchungen. Jetzt bin ich gespannt, wieviele es zum Saisonauftakt gegen Regensburg werden.

Welchen Betrag erhalten die Vereine von den acht Euro, die der Wohnzimmer-Zuschauer bei Punktspielen an SpradeTV überweisen muss?

Derzeit wird der Sprade-Vertrag noch einmal überarbeitet, damit die Vereine noch mehr unterstützt werden. Aber es bleiben so um die fünf Euro pro Sprade-Zuschauer bei den Klubs hängen.

Herr Golly, Sie waren bereits drei Mal bei Geisterspielen in der Netzsch-Arena dabei. Haben Sie sich schon etwas daran gewöhnen können?

Beim ersten Mal war es schon sehr seltsam. Mittlerweile weiß man, was auf einen zukommt. Aber ehrlich, Spaß macht das nicht. Ich denke, auch den Spielern nicht.

Ein anderes Thema, das am Wochenende hochgekocht ist, war der Coronatest-Ärger zwischen Halle und den Eisbären Regensburg, die sich so kurzfristig nicht testen lassen wollten. Wie oft wurde das VER-Team bereits auf den Virus getestet?

Noch gar nicht.

Warum nicht?

Wir wollten unsere komplette Mannschaft vor dem Trainingsauftakt testen lassen. Damals hieß es vom Gesundheitsamt, dass dies nicht möglich ist, wenn keine Symptome vorliegen. In anderen Landkreisen wird das anders gehandhabt. Ich denke aber, dass diese Tests auch nicht unbedingt erforderlich sind. Sie sind ja nur eine Momentaufnahme. Ich kann mich heute testen lassen und bin morgen positiv...

Aber etwas Schutz müsste doch dennoch sein für Vereine, die dem Profisport zugeordnet werden, oder?

Wir haben die klare Vorgabe an unseren Betreuerstab, vor jedem Training eine Fiebermessung bei den Spielern durchzuführen. Die Spieler müssen auch sagen, wenn es ihnen nicht gut geht. So vernünftig sind sie schon. Wer Symptome zeigt und sich nicht wohlfühlt, wird sofort nach Hause geschickt. Da reicht schon ein kleiner Schnupfen. Wir gehen da kein Risiko ein.

Kommen wir zum Sportlichen. Welches Ziel verfolgt der VER Selb in der Saison 2020/21?

Unser Ziel steht schon lange fest: Wir wollen wieder eine etwas andere Art von Eishockey und eine erfolgreichere Saison als im vergangenen Jahr spielen.

Was wäre für Sie eine erfolgreiche Saison?

Erst einmal wollen wir unter den ersten vier mitspielen.

Sehen Sie mit der neuen Mannschaft auch die Chance, die DEL 2 anzugreifen?

Wir greifen immer an und wollen immer das beste sportliche Ergebnis erreichen. Wenn wir Meister werden, hätten wir auch nichts dagegen.

Der neue Kader wird allgemein hochgelobt, dürfte aber auch nicht der billigste sein. Zumal mit Marius Möchel auch noch ein neuer Mann aus der DEL dazugestoßen ist. Wie ist das finanziell möglich in Corona-Zeiten?

Wir haben einen starken Kader, das stimmt. Wir mussten die Abgänge ja aber auch wieder ersetzen. Und das mit Marius Möchel hat sich so ergeben. Er wollte nach seiner Handverletzung wieder einsteigen und spielen, und hat einen guten Eindruck gemacht. Auch seine finanziellen Vorstellungen waren nicht überzogen. Wir haben da eine vereinsinterne Möglichkeit der Gegenfinanzierung gefunden.

Was halten Sie generell von Leihspielern aus der DEL in der Oberliga?

Das ist ein schwieriges Thema. Auf der einen Seite macht es Spaß, solche Leute in der eigenen Mannschaft zu haben. Es darf aber auch nicht ausufern, also nicht die halbe Mannschaft mit DEL-Spielern bestückt sein. Auch wenn es die Durchführungsbestimmungen des DEB hergeben würden. Aber es muss letztlich jeder Verein für sich entscheiden. Hilft einem der Spieler weiter oder bringt er nur Unruhe rein, wenn er nur vier Wochen da ist und andere Spieler auf die Bank müssen.

Marius Möchel könnte ja länger in Selb bleiben.

Ja. Marius war zuletzt vereinslos. Er hat einen Vertrag bis Saisonende. Allerdings mit Ausstiegsklausel.

Was passiert eigentlich, wenn eine Mannschaft komplett in Quarantäne müsste während der Saison?

Das müsste in den Durchführungsbestimmungen des DEB geregelt werden. Die liegen aber leider noch nicht vor. Einzelne Spiele sollen ganz unkompliziert nachgeholt werden können. Die Vereine sollen das untereinander vereinbaren. Aber der Spielplan ist eng.

Muss dann noch eine Meisterrunde sein vor den Playoffs? Oder soll es heuer überhaupt Playoffs geben?

Auf Wunsch aller Oberligisten soll es Playoffs geben. In welcher Form und in welchem Umfang, ist noch nicht klar.

Der VER muss an den ersten sieben Spieltagen fünf Mal reisen. Ist das vielleicht sogar ein Vorteil angesichts der Geisterspiele im November?

Vielleicht wäre es ein Vorteil, wenn es ab Dezember wieder Zuschauer geben würde. Aber das ist Kaffeesatzleserei. Der Spielplan ist auch nicht so wichtig heuer. Es geht darum, dass wir überhaupt spielen können.

Befürchten Sie, dass sonst das Interesse am Eishockey nachlassen würde?

Ja. Das ist die Meinung aller Oberligisten. Wir müssen versuchen, die Saison durchzuziehen, damit das Interesse der Fans, Sponsoren und Ehrenamtlichen nicht nachlässt. Bei einem Jahr Pause wird es schwierig, die Leute wieder einzufangen und zu begeistern.

Am Freitag gastiert mit den Eisbären Regensburg gleich der Titelverteidiger und erneute Meisterschafts-Mitfavorit in der Netzsch-Arena. Wagen Sie einen Tipp?

Ich würde mich über einen knappen Sieg unserer Mannschaft freuen. Aber die Hauptsache ist, wir können spielen.

Das Gespräch führte Andreas Pöhner

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