Was kann Musik bewirken?
Musik ist ein jahrtausende altes Kulturgut. Sie kann Menschen verbinden, aber leider auch aufs Schlachtfeld führen. Sie ist ein Transportmedium für die unterschiedlichsten Gefühle. Meistens löst sie bei uns Menschen etwas Positives aus. Mein Vater sagte mir früher immer: „Wo gesungen wird, da lass dich nieder, denn böse Menschen haben keine Lieder“. Da habe ich ihm immer geantwortet: „Doch, das Horst-Wessel-Lied!“ Am Ende des Tages ist an dem Spruch aber etwas dran, denn es gibt keine Feier ohne Musik. Sie berührt uns in der Tiefe unserer Seele und lässt uns weinen und lachen.
Und was macht einen Künstler aus?
Künstler sind das Thermometer einer Gesellschaft und auf irgendeine Weise besondere Menschen. Sie sind bereit, für die Kunst wahnsinnig viele Dinge aufzugeben. Und sie haben eine Begabung, die andere nicht haben. Ich bin z.B. fasziniert von Leuten, die fotorealistisch malen können. Das ist Handwerk, aber da muss man erst einmal hinkommen.
Zu wie vielen Teilen ist Songschreiben ein Handwerk?
Das weiß ich nicht. Man kann auch einen Song raushauen, ohne Profi zu sein. Mit drei Akkorden und vier Zeilen bringt man unter Umständen Menschen zum Weinen. Kerstin Ott z.B., die eine totale Amateurin war, hat genauso einen Song für ihre beste Freundin geschrieben, und zwei DJs haben daraus den größten Hit des Jahrs 2017 gemacht. Das funktioniert ohne großes Handwerk.
„Wir bleiben nicht für immer jung“ heißt es in einem Song. Wie alt fühlen Sie sich in einem Business, das immer jüngere „Stars“ generiert?
Ich war neulich auf der Echo-Verleihung. Ich hätte es lieber nicht tun sollen, denn ich traf dort auf die Lochis! (lacht) Peter Maffay ist sofort nach der Show gegangen, das hätte ich auch machen sollen, aber ich hatte da zu viele Freunde, die ich nur selten sehe. Ich bin aber gegangen, bevor Farid Bang in eine Schlägerei verwickelt wurde! Das Alter ist mir übrigens scheißegal. Ich merke körperlich, dass ich nicht mehr 22 bin, aber geistig bin ich noch genauso ungestüm wie mit 23. Auf der Platte gibt es einen Song für meine Tochter, die sich in der Puberttät befindet. Er heißt „Hör bloß nicht auf zu träumen“. Das kann ich auch jedem 62-Jährigen empfehlen.
Empfinden Sie Ihr Leben mit Ende 50 noch immer als ein Abenteuer?
Volles Brett! Super! Wenn das kein Abenteuer ist, dann weiß ich es auch nicht. Ich mache immer noch totalen Blödsinn. Ein guter Kumpel ist gerade am Nordpol, um dort zu drehen. Mit Mitte 50 bin ich mit ihm um die ganze Welt geflogen. Wir haben die Türen aus Hubschraubern ausgebaut und uns rausgehängt, um aus 40 Metern Höhe über dem Pazifik irgendwelche Ladungen auf Schiffen zu filmen. In der Fury-Pause habe ich für die Reederei Beluga gearbeitet. Nur solchen Blödsinn gemacht. Männerabenteuer. Das würde ich sofort wieder tun.
Ist auch das Musikmachen ein Abenteuer?
Von Musik leben zu wollen, obwohl es Spotify gibt, ist auch ein Abenteuer! Ich lebe von dem, was mir Spaß macht, und das ist echt schön. Unser Publikum kauft zum Glück noch CDs und geht auf Konzerte. Ich bin seit 30 Jahren selbständig. Mein Leben ist wie eine Sinuskurve. Aber ich kann mich nicht beschweren, ich habe drei gesunde Kinder und auch meine Frau ist kreativ und entwirft Lampen.
„Aufgeben ist tödlich“ heißt es im Titelsong „Sieben Himmel hoch“. Lautet so Ihr Lebensmotto?
Manchmal ist das mein Lebensmotto, und manchmal sitze ich da und würde unheimlich gern aufgeben und Briefträger werden. Das ist einfach so, wenn man ein Sinuskurvenleben führt. Nur wenn es einem mal richtig dreckig gegangen ist, kann man es auch wertschätzen, wenn es einem richtig gut geht. Ich kann eigentlich gar nicht aufgeben, ich habe drei Kinder. Vielleicht setze ich mich manchmal still und heimlich in die Ecke und jammere, aber das bringt niemanden weiter.
Welchen Tribut fordert der Rock’n'Roll?
Dieser Job ist sehr anstrengend. Vor allem gegen Ende einer Plattenproduktion. Bei uns heißt das immer „die Todeszone“. Denn dann kommen alle Fragen hoch. Plötzlich findest du dein Album fürchterlich und schläfst nicht mehr. Dann kommt die Plattenfirma mit Vorschlägen an. Das ist wie eine künstlerische Geburt, die auch weh tut. Erst wenn das Ding draußen ist, herrscht Ruhe.
Wie kam es zu dem Song „Verbrennen“?
Manchmal hat man das Gefühl, dass man am liebsten diesen ganzen Dreck, den die Welt hervorbringt, auf einen großen Haufen schieben würde. Um ihn dann anzuzünden. Mit allem, was dabei übrig bleibt, könnte man wieder vernünftig starten. Es geht nicht darum, Menschen, Völker oder Meinungen auszumerzen, aber Eigenschaften und die Dinge, die diese Eigenschaften hervorgebracht haben. Die gehen mir manchmal total auf den Sack. Ich hatte Lust, mit meinem Bruder ein Lied zu machen, das ein bisschen böse ist.
Haben Sie das Gefühl, dass im Moment das Böse überwiegt?
Nein, das Dumme überwiegt! Das Böse und das Dumme sind ganz beschissene Freunde. Im Moment sind sie komischerweise auch noch gute Freunde. Und das ist dann noch blöder. Denn das Böse ist meistens intelligent und in der Lage, das Dumme zu beeinflussen. Genau das erleben wir gerade. Und dazu hat es auch noch alle möglichen Werzeuge wie Facebook und Instagram zu Verfügung. Dort kann sich selbst der Blödeste geil finden, wenn er irgendjemanden beschimpft. Wo Kinder sich gegenseitig mobben und keine Gespräche mehr geführt werden. Selbst Kriegserklärungen laufen über Twitter. Das ist ein anstrengendes und merkwürdiges Jahrzehnt.
Bespielen Sie selber die Sozialen Medien?
Ja, weil das die einzige Möglichkeit ist, wie man sich heutzutage als unabhängiger Musiker noch mit seinen Fans kurzschließen kann. Fernsehwerbung z.B. kostet wahnsinnig viel Geld, was wir nicht haben. Wir haben keine 200.000 gekaufter Facebook-Freunde, aber wir wissen, wenn wir auf den Knopf drücken, dann passiert da was. Das ist für uns die einzige wahre Maschine, um Promotion zu machen. Für etwas anderes bleibt auch gar keine Zeit.
Was machen die Musiker von Wingenfelder anders als die Musiker von Fury In The Slaughterhouse?
Mit Wingenfelder kann ich die Dinge so machen, wie ich es gern möchte. Mein Bruder und ich sind musikalisch ziemlich deckungsgleich. Ich bin vielleicht ein bisschen wilder und experimenteller als er, aber wir sind der Meinung, dass wir mit dieser Band viel ausprobieren können. Und bei Fury kommt ein lustiges Häuflein zusammen, das in der einzelnen Variante musikalisch eher unbedeutend ist. Aber in dem Moment, wo wir sechs zusammenkommen, entsteht etwas Magisches. Ich weiß nicht, woran das liegt. Unsere Art zu spielen ist sehr locker und entspannt. Wir haben unsere eigene Nische gefunden, die mag man oder nicht. Wir sind eine Band, die polarisiert, aber wir haben in den vergangenen 365 Tagen wahnsinnig viel Spaß gehabt.
Sind die alten Spannungen gelöst worden?
Nein, es gibt sie immer noch, das macht uns ja aus. Aber wir haben unsere dämliche Art, damit umzugehen, abgelegt. Das hat etwas mit der Lässigkeit des Alters zu tun. Das macht es viel angenehmer, weil wir uns ja eigentlich mögen. Wie in jeder Beziehung gibt es auch bei uns Macken. Man muss nicht gleich in die Luft gehen, sondern kann sich auch lächelnd einigen. Wir haben das Jahr mit Fury nach dem Swingerclub-Prinzip gelebt: Alles kann, nichts muss. Mit Fury haben wir ein Jahr lang in einer ganz anderen Größenordnung gespielt, während wir mit Wingenfelder in Clubs auftreten. Aber ich freue mich drauf, weil diese Gigs immer sehr warm und herzlich sind. Und ich freue mich auch auf diesen einen Monat mit Fury. Wir spielen u.a. an Orten, an denen ich schon immer mal spielen wollte.
Wingenfelder auf Tour
Das Duo geht auf „Sieben Himmel Hoch“-Tour und tritt am 2. November um 20 Uhr im Werk2 in Leipzig auf. Karten gibt es im Ticketshop unserer Zeitung.