Wirsberg Schon Vorschulkinder mit einbinden

Werner Reißaus

Ein ehemaliger Wirsberger stellt im Rathaus seine Studie "Slow Inclusion" vor. Oswald Ammon hat sich nach einem Schlaganfall mit dem Thema befasst.

 
Schließen

Diesen Artikel teilen

Wirsberg - Der 68-jährige Oswald Ammon lebt mit seiner Familie in der deutsch-schweizerischen Grenzregion am Bodensee, doch mehrmals im Jahr kehrt er in seinen Heimatort zurück, wo sein Elternhaus steht. Ammon wurde in Bad Berneck geboren, sein Abitur legte er am Markgraf-Georg-Friedrich-Gymnasium in Kulmbach ab. Danach studierte er Englisch, Spanisch, Politikwissenschaften und Wirtschaft. Anschließend unterrichtete er an Gymnasien.

Seit 2016 ist er Behindertenbeauftragter für den Landkreis Konstanz. Vor Kurzem hat er mit einer interessanten Studie auf sich aufmerksam gemacht: "Slow Inclusion - Geschwindigkeit und Hektik verbannen". Ammon propagiert damit sein ganz eigenes Modell der Inklusion. Ihm geht es darum, Geschwindigkeit und Alltagshektik aus der Einführung der Inklusion zu verbannen. Er erlitt vor 20 Jahren einen Schlaganfall und ist seitdem halbseitig gelähmt. Das hindert den früheren Wirsberger aber nicht daran, weiterhin Sport zu betreiben. Er gewann im vergangenen Jahr viermal Gold bei Para-Leichtathletik-Wettbewerben.

Der Sport war ihm immer eine große Hilfe, seinen Lebensmut und seine Energie nicht zu verlieren. In seiner Jugendzeit war Oswald Ammon ein sehr guter Leichtathlet und Schwimmer. Heute ist er im Behindertensport mehrfacher und immer noch amtierender deutscher Meister in der Para-Leichtathletik in seiner Alters- und Schadensklasse im Diskuswurf und Kugelstoßen.

Nach seinem Schlaganfall war nichts mehr wie vorher: "Ich konnte nichts mehr, nicht mal mehr reden. Aber mein Geist war zum Glück immer klar. Ich kämpfte und musste vieles wieder neu erlernen. Halt gab mir stets meine Familie, die immer an mich glaubte. Ich war vor dem Schlaganfall Sportler. Mit Niederlagen umzugehen, hatte ich gelernt."

Bei seinem jüngsten Besuch in Wirsberg nahm Oswald Ammon auch eine Einladung von Bürgermeister Jochen Trier an, um seine jüngste Veröffentlichung vorzustellen. Trier sagte, dass für ihn Inklusion bereits seit Langem ein Begriff ist, denn seine Mutter war in den Himmelkroner Heimen beschäftigt, und nicht selten hatte er auch Kontakt mit den Heimbewohnern: "Ich habe dabei immer erlebt, dass sie mitmachen wollen." Und dass sich eine Inklusion von klein auf entwickeln sollte, wie Oswald Ammon in seiner jüngsten Publikation aufzeigt, begrüßte auch Bürgermeister Trier: "Für mich als Außenstehender ist es genau der richtige Ansatz."

Oswald Ammon kommt als Pädagoge zur Ansicht, dass in Deutschland nach jahrelangen Versäumnissen und Untätigkeit bedeutend mehr in das System der Kindertagesstätten investiert werden müsse: "Gerade bei Vorschulkindern muss endlich auch die Einführung der Inklusion eine bedeutendere Rolle spielen. Man kann und darf sich nicht nur darauf berufen, dass Inklusion seit Jahren immerhin in Worten niedergeschrieben steht." Dabei verwies Ammon darauf, dass in den vergangenen 20 Jahren eine Fülle von Gesetzen in Kraft getreten ist, die sich mit der Nichtdiskriminierung, Gleichstellung und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen befassen. Die Gesetze existieren zwar, aber passiert sei bis jetzt wenig. Oswald Ammon: "Im Alter von drei bis sechs Jahren stehen die Kinder dem für sie noch unbekannten Begriff Inklusion völlig vorurteilslos gegenüber. Hier ist ein günstiger Zeitpunkt, pädagogisch tätig zu werden."

Inklusion gilt heute, wie Oswald Ammon feststellt, als universelles Menschenrecht: "Und Ziel der Inklusion ist es, allen Menschen unabhängig von Nationalität, Geschlecht, Behinderung, medizinischem oder anderem Bedarf einen gleichberechtigten Zugang zum Leben in der Gemeinschaft zu schaffen." Bei "Slow Inclusion" geht es nun um die langsame und intensive Einführung von Inklusion. "Slow Inclusion" verbindet die Wertschätzung aller Menschen - auch der Menschen mit Behinderung -, mit dem Spielerischen. In der besonderen Erlebens- und Erfahrungswelt der Kinder soll die Geschwindigkeit und Alltagshektik aus der Einführung der Inklusion verbannt und mehr Verständnis und Spaß bei den Kindern erreicht werden.

Mit gutem Grund ist Oswald Ammon der Ansicht, dass der Vermittlung der Inklusion schon in den Kindergärten eine grundlegende Bedeutung zukommen muss: "Hier ist eine besonders tiefe und nachhaltige Verankerung der Vorstellungen von Nichtdiskriminierung, Toleranz, Bewegungs- und Barrierefreiheit sowie gleichberechtigter Teilhabe an allen täglichen Aktivitäten allein und in der Gruppe zu vermitteln. Jedes Kind, jeder Mensch, soll dies gleichermaßen und selbstbestimmt können."

Viele Kinder werden von ihren Großeltern zum Kindergarten gebracht und auch wieder abgeholt. Hierbei kommt es ganz natürlich vor, dass bereits die Oma oder der Opa eine "Einschränkung" haben und dieses Handicap für viele Kinder alltäglich ist. Die Oma benutzt vielleicht einen Rollator, um einzukaufen, der Opa sieht schlecht und muss deshalb auf der Treppe vorsichtig sein. Vielleicht haben die Tante oder der Onkel ein Hörgerät. Der Behindertenbeauftragte aus Konstanz: "Diese Aufzählung lässt sich beliebig fortsetzen, denn es gibt vielfältige Behinderungen. Mit verschiedenen Bilderbüchern, Gesprächen und praktischen Übungen mit Brillen, Rollstühlen, Rollatoren, Hörgeräten und so weiter können die Themen Behinderung und Inklusion Kindern nahegebracht werden."

Bilder