Wunsiedel "Trinkersonne" führt nach Wunsiedel

Der Wiener Franzobel, der in Wunsiedel aus seinen Erzählungen las, versteht sich auf sezierende Satiren: Die Zuhörer mochten den sarkastischen Stil des Gegenwartsautors, der zeigt, wie schnell das Gewohnte ins Absurde kippen kann. Foto: Florian Miedl

Der Schriftsteller Franzobel liest im Fichtelgebirge. Der Kunstexperte German Schlaug hat den hochdotierten Wiener eingeladen, weil er seine Wahrnehmung der Realität spannend findet.

 
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Wunsiedel - Die Wirklichkeit ist absurder als jede Erfindung - davon ist Franzobel überzeugt, der am Donnerstag auf Einladung des Bürgerforums Wunsiedel las. Also sammelt der österreichische Schriftsteller Geschichten. "Die Leute erzählen mir viel." Der Autor schreibt es auf und verwertet es literarisch. Sein Krimi "Rechtswalzer" etwa, erklärte Franzobel im evangelischen Gemeindehaus, bestehe aus vielen tatsächlich erzählten Geschichten. "Wenn man denkt: Das ist so absurd - das hat er garantiert erfunden, sind es wahre Begebenheiten, die mir die Leute erzählt haben. Ich habe nur das Normale erfunden", versichert Franzobel.

Franzobels Steckbrief

Franz Stefan Griebl alias Franzobel zählt zu den populärsten und polarisierendsten Schriftstellern Österreichs. Mit seinen Erzählungen, Theaterstücken, Romanen und Krimis hat der 53-Jährige schon zahlreiche Preise gewonnen. Besonders viel Beachtung fand der Roman "Das Floß der Medusa", der den Bayerischen Buchpreis bekam und auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis stand. Ebenso wie sein jüngster Krimi "Rechtswalzer" aus dem Jahr 2019 wurde der "Medusa"-Roman in zahlreiche Sprachen übersetzt.

Derzeit hat der Wiener Franzobel die Auszeichnung "Dresdner Stadtschreiber" inne, vorher war er Inselschreiber auf Sylt, Residenzschreiber in Sarajewo sowie Stadtschreiber in Split und im fränkischen Weißenburg.


Sein "Rechtswalzer" spielt im Jahr 2024, eine Rechtsaußen-Partei namens Limes hat Österreich fest im Griff. "Krimis sind Literatur mit Leiche", sagt Franzobel. Er nutzt die Form für satirisch überspitzte Gesellschaftportraits. "Der Irrsinn kulminiert am Wiener Opernball", kommentiert Franzobel und las in Wunsiedel das entsprechende "Rechtswalzer"-Kapitel vor. Kritische Figur in dem absurden Ball-Spektakel ist Kommissar Goschen, über den Franzobel schreibt:

"Der Kommissar verabscheute diese Gesellschaft, ihr blasiertes Gehabe, ihre Art, affektiert zu sprechen. Was war das doch für ein piefiger Haufen.... Eine provinzielle Ansammlung an schlecht geschminkten, aus der Proportion geratenen Gesichtern."

Goschens Frau ist allerdings nicht mit dem verachtenden Schweigen ihres Gatten einverstanden:

"Wie wär’s mit ein bisschen reden? In Österreich ist noch nie jemand

an Oberflächlichkeit zugrunde

gegangen."

Ihr Mann weigert sich und sagt:

"Dann bin ich der Erste. Mir geht

es wie dem Bruno Kreisky, der

über den Opernball gesagt hat,

dass er die Rache der Geschichte

an den Revolutionären ist."

Darauf erwidert seine Frau:

"Das einzig Revolutionäre an dir ist dein exorbitanter Alkoholkonsum."

Ins Fichtegebirge kam Franzobel übrigens dank eines früheren Werkes zum Thema Alkohol. Es heißt "Die Trinkersonne", wie Geman Schlaug bei der Lesung erzählte. Der ehemalige Kunsterzieher hatte auf dem Hofer Theresienstein eine Ausstellung des Zeichners Kay Voigtmann besucht und war auf die "Trinkersonne" gestoßen. In diesem Grafik-Band illustrieren Voigtmanns Radierungen Franzobels Erzählungen. Der skurrile Humor des Schreibers und des Zeichners verbinden sich zum Tauchgang in allerlei absurde Elemente des Realen. Nachdem Schlaug sich später noch im Weißenburger Bergwaldtheater über Franzobels "Lebkuchenmann" amüsiert hatte, lud er den Künstler im Namen des Wunsiedler Bürgerforums zur Lesung ein. Eine sehr gute Entscheidung.

Das Publikum mochte am Donnerstagabend Franzobels sezierende Satiren, die teilweise Thomas Bernhardsche Züge tragen - wie die monologisiere Corona-Suada oder die Beschreibung eines Lebens im Ikea-Wahn: Alle Gegenstände werden originalgetreu mit ihren Ikea-Namen benannt. Auch die nationalen Schöpfungsgeschichten des Dichters sind dank ihrer kuriosen Sprach-Konglomerate köstlich komisch.

Zum Schluss stellte Franzobel noch sein Meisterstück, "Das Floß der Medusa" vor. In diesem hochgelobten Roman, der auf einer wahren Begebenheit aus dem Jahr 1816 beruht, treibt der Autor sein Haupt-Thema, die Fragilität der menschlichen Existenz, auf die Spitze: "Es braucht nicht viel, damit etwas kippt und bürgerkriegsartige Zustände herrschen."

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