Eigener Inhalt Flugschau im Fichtenwald

Wolfgang Plank

Nirgendwo ist Rallye spektakulärer als in Finnland. Toyota siegt beim Heimspiel zum dritten Mal in Folge.

 
Schließen

Diesen Artikel teilen

Wer Natur pur sucht, findet rund um Jyväskylä das Paradies. Vier Autostunden nördlich von Helsinki empfängt ein Idyll aus Wald und Wasser. Höchst selten durchkreuzt von ein paar welligen Schotterpfaden. Viel mehr Abgeschiedenheit geht selbst im Land der tausend Seen kaum.

Es sei denn, es ist das Wochenende der Rallye Finnland. Dann ist es vorbei mit Ruhe und Einsamkeit. Zu Hunderttausenden säumen sie die Wege und Kuppen: Nordmänner, -frauen, -kinder und Fans aus aller Welt. Kein Weg ist zu weit, kein Gestrüpp zu dicht, keine Fahne zu groß. Hier hat es die höchsten Geschwindigkeiten im WM-Kalender – vor allem aber die weitesten Sprünge. Drei Tage Flugschau im Fichtenwald.

Seit 1951 gibt es die Rallye, und fast ausnahmslos siegten die Hausherren. Legenden wie Simo Lampinen, Hannu Mikkola oder Markku Alen düpierten im Unterholz die Konkurrenz. Es war der Spanier Carlos Sainz auf Toyota Celica, der 1990 als erster Nicht-Skandinavier hier gewann. Doch mehr als ein gutes Dutzend fremde Erfolge ließen die "Fliegenden Finnen" auf Ouninpohja, Päijälä, Ruuhimäki und den anderen Prüfungen nicht zu.

Am vergangenen Wochenende ist es mal wieder passiert. Genauer: schon wieder. Der Este Ott Tänak haut sich mit Copilot Martin Järveoja wie im Vorjahr am schnellsten durch die Wälder und bescherte Toyota in Finnland den nun schon dritten Sieg in Folge. Fast wäre es ein Doppelschlag geworden, doch Esapekka Lappi/Janne Ferm im Citroën können Jari-Matti Latvala/Miikka Anttila im zweiten Yaris gerade noch so auf Abstand halten.

Dass Toyota rund um Jyväskylä so stark ist, hat einen simplen Grund: In Puuppola, keine Viertelstunde entfernt, hat die Truppe von Rallye-Teamchef Tommi Mäkinen ihren Sitz. In der Zunft der Querfahrer ist der Finne einer der ganz Großen. Vier Jahre in
Folge war er Weltmeister. Seinen letzten Titel holte er 1999. Das Jahr, in dem Toyota sich der Formel 1 zuwandte.

Wie genau sich zutrug, die Operation Rallye-Rückkehr keinem Japaner zu übertragen, ist nicht überliefert. Hartnäckig hält sich die Version, Toyota-Boss Akio Toyoda sei bei einer Testfahrt mit Mäkinen durch die verschneiten Wälder derart ergriffen gewesen,
dass er ihm freie Hand für die Entwicklung des Yaris WRC ließ. Mit einer Maßgabe: "Wir hassen es zu verlieren."

Herausgekommen ist ein Auto, das schon im zweiten Jahr die Marken-WM eroberte und in Sachen Aerodynamik weit in Führung liegt. Was sie am Yaris-Ende an Flügel aufgepackt haben, übertrifft manchen Tourenwagen. Sogar die Halter der Spiegel sorgen für Anpressdruck. Anfangs lächelte die Konkurrenz noch milde, kurze Zeit später begann sie mit Nachbauten.

Bewegt wird der Kleinwagen von einem 1,6-Liter-Turbo, der um die 400 PS freisetzt. Ein hydraulisches Sechs-Gang-Getriebe reicht die Kraft an alle vier Räder. Vortrieb in Reinform. Allerdings stammen nur mehr das Toyota-Emblem und die dritte Bremsleuchte vom Yaris aus dem Schaufenster. Der Rest sind Spezialteile. Pfiffiger, leichter, robuster. Kein Wunder, dass so ein WRC geschätzte anderthalb Millionen kostet.

Aber man will schließlich bestehen gegen Hyundai, Citroën und das nicht ganz offizielle Ford-Team M-Sport. Auf vier Kontinenten, Schnee, Schotter, Schlamm, Asphalt – und bei all dem Ungemach, das sonst noch droht.

In Finnland in Form von Hügeln. Sprünge von 50 Metern und mehr bei Tempo 200 sind schon für die Fahrer nicht einfach – noch weniger aber für die Autos. An die 40 Zentimeter Federweg schluckt die Aufhängung bei der Landung einfach weg. Kuppe für Kuppe. So als ließe man Knetmasse auf den Boden fallen. Ein technisches Wunderwerk. Dafür könnte man für einen einzigen Stoßdämpfer auch zwei Serien-Yaris kaufen.

Für den Erfolg hat Toyota – wie die anderen Teams auch – eine eigene Welt mitgebracht. Ausgepackt aus einem Dutzend Sattelzügen. Platz für Ingenieure, Wetter-Analysten, Physiotherapeuten – und das Küchen-Team. Unter dem Werkstatt-Zeltdach: eine Spezialisten-Truppe, die blind jede Schraube findet. Die in zwanzig Minuten ein Getriebe wechselt und eine Hinterachse in acht. Und die selbst Scheinbar-Schrott fahrfähig dengelt, noch bevor den Zuschauern im Service-Park der Kaffee kalt wird.

Mit derlei Betreuung und noch mehr Herz fahren die Yaris-Piloten eine zwischenzeitliche Dreifach-Führung heraus. Dann der Schock. Kris Meeke reißt sich an einem Stein die linke Radaufhängung ab, Latvala fährt sich an identischer Stelle einen Reifen platt. Mäkinen tobt und die Konkurrenz wittert Morgenluft. Doch am Ende sind Glück und Können mit Ott Tänak, der mit diesem Sieg die WM-Führung ausbaut.

Die rollende Werkstatt geht fast unter in Jubel und Sekt – dann wird eingepackt und zusammengekehrt. Ziel: Bostalsee. Serviceplatz der Rallye Deutschland. Der Sieger der vergangenen beiden Jahre hieß: Ott Tänak.