Veranstaltungstipps Alligatoah: "Ein Künstler muss seinem Herz folgen"

Das Gespräch führte Olaf Neumann
 Foto: Veranstalter

Rapper Alligatoah hat im Herbst ein neues Album veröffentlicht und geht damit auf Tour. Wir sprachen mit ihm über Poesie, Pornos und Polarisierung.

 
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Alligatoah, in „Alli-Alligatoah“ zitieren Sie Goethes berühmte Ballade „Erlkönig“ aus dem Jahr 1782. Wie gut kennen Sie Goethe?
Das Gedicht ist ja ein Klassiker der Schullliteratur. Der „Erlkönig“ ist irgendwann als Running Gag in meine Shows hineingekommen. Es war nur eine Frage der Zeit, bis dazu auch ein Lied entstanden ist.

Was ist für Sie Poesie?
Ich würde nicht sagen, dass ich an Goethe geschult bin. Ich suche Poesie vor allem dort, wo mit Erwartungen gebrochen wird. Wenn ein Satz aus einem Goethe-Gedicht kommt und das Ganze dann mit Straßenjargon beendet wird. Zum Beispiel, auf die Frage „Wer reitet so spät durch Nacht und Wind?“ mit „Alligatoah, du Fotze“ zu antworten. Solche Brüche begehe ich gerne.

Sind Sie verbal bereit, Dinge zu tun, vor denen viele andere Künstler zurückschrecken?
Ich weiß nicht, ob andere Künstler davor zurückschrecken. Es gibt eine Menge Leute in Deutschland, die bereit sind, verbal brutal aufzutreten. Was mich von denen unterscheidet, ist, dass ich diese Sprache nicht um ihrer selbst willen und ausschließlich verwende. Ich baue sie lediglich als Stilmittel ein und halte sie hier und da als wohlportioniertes Moment der Überraschung parat.

Lieder wie „Meinungsfrei“ sind ironisch gebrochen. Sollte man als Künstler seine ehrliche Meinung sagen – oder sich lieber hinter Ironie verstecken?
Es gibt kein Manifest, in dem drinsteht, was ein Künstler tun und lassen soll. Das Schöne ist, dass er einfach nur seinem Herzen und seinen Ideen folgen kann und muss. Dabei kann sowohl Ironie als auch Klartext herauskommen. Was ich ich vor allem künstlerisch verarbeite, sind in der Regel keine Klartextansagen. Ich wechsele ständig in andere Positionen, um dem Hörer einen neuen Blickwinkel aufzuzeigen. In bin den Dingen gegenüber oft sehr neutral eingestellt. In meinem Freundeskreis bin ich häufig derjenige, der schlichtet und dafür sorgt, dass Verständnis für alle Seiten aufgebracht wird. Mit dem Song „Meinungsfrei“ zeige ich mir selbstkritisch, dass diese neutrale Position manchmal sehr problematisch sein kann.

Kann man noch neutral bleiben in einer Zeit, in der fremdenfeindliche Hetze wieder salonfähig geworden ist?
Es ist wichtig, dass eine gewisse Neutralität gewahrt wird, um den Dialog weiterhin zu ermöglichen. Es werden ja gerade von allen Seiten Parolen gebrüllt. Deswegen ist es wichtig, sich auch mal radikale Positionen anzuhören. Es gibt natürlich einen Unterschied zwischen einer Weltanschauung und einer unmenschlichen bestialischen Ausschreitung, die in jedem Falle abzulehnen ist. Wenn Leute auf Grund ihrer Hautfarbe oder Herkunft gejagt und angegriffen werden, ist es eine Frage der Menschlichkeit, sich klar dagegen zu positionieren. Egal, ob man links oder rechts ist.

Können Sie die Angst mancher Menschen vor Migranten nachvollziehen?
Ich habe weder diese Angst noch die Weltanschauung von Leuten, die nationalistisch denken. Dennoch leben wir in einer Gesellschaft zusammen mit Menschen, die eben nicht nur das Volk sind, aber irgendwie auch. Deshalb ist es wichtig, selbst mit solchen Menschen das Gespräch zu suchen und in irgendeiner Weise auf sie zuzugehen. Einen besorgten Bürger in die Wüste zu schicken ist in meinen Augen auch nur Intoleranz gegenüber Andersdenkenden. Das sind nicht die „demokratischen Werte“, die ich bewahren möchte.

Sie beschäftigen sich künstlerisch mit dem vielleicht stärksten unserer Gefühle, dem Hass. Ist Hass ein gesellschaftliches Problem?
Ich glaube, es gibt im Menschen ein Grundbedürfnis nach diesem Gefühl. Selbst jemand wie ich, der sich selbst als einen maximal friedliebenden Menschen bezeichnen würde, kennt dieses Gefühl. Ich konsumiere diese Gefühle in Form von Kunst, indem ich Filme sehe, in denen Gewaltdarstellungen vorkommen. Das in einem Song zu beschreiben, fand ich sehr spannend.

Mussten Sie auch schon Hass-Posts aushalten?
Ja, in der Tat. Aber ich bin diesem Hass nicht böse. Wenn jemand unter meinem Video wütet und sich mit wüsten Beschimpfungen und schlechter Grammatik über mich echauffiert, ist das für mich immer eine große Freude. Im Grunde ein Stück Realsatire außerhalb meiner selbsterzeugten Satire. Sozusagen eine Erweiterung meiner Kunstform im Bereich des Publikums. Wenn jemand sich unzivilisiert verhält, nur weil er von einem Stück Musik getriggert wurde, sagt er damit über sich selbst aus, dass er ein Vollidiot ist.

Macht es Spaß, zu polarisieren?
Durchaus! Vor allem ist es eine Freude, Leute zu verwirren. Wenn ich ein Lied über Gewalt mache und es mit einer fröhlichen Melodie verbinde, dann stößt das oft auf Irritation. Und das betreibe ich konsequent, seit ich Musik mache. Ich verbinde gern Gefühlswelten, die eigentlich nichts miteinander zu tun haben.

Verstehen die meisten Menschen Ironie?
Ich glaube, wir leben im Zeitalter ausgehender Ironie. Sie war mal etwas besonders Cooles. Aber vielleicht hat sie zu recht ein bisschen ausgedient, denn wenn sich Leute mit radikal unterschiedlichen Positionen an einen Tisch setzen, ist es wichtig, die Ironie ablegen zu können, sonst fühlt man sich nicht ernst genommen. Aber in der Musik ist sie ein wunderschönes Mittel, um Dinge zu verdeutlichen.

Wie ernst sollte man die Gefahr vor einem terroristischen Anschlag z.B. auf ein Konzert nehmen?
Mein Lied „Terrorangst“ beschäftigt sich mit der irrationalen Angst vor Dingen, die großartig in den einschlägigen Medien stattfinden, obwohl sie in der Realität gar nicht so präsent sind. Ich finde es wichtig, solchen Ängsten eine gewisse Leichtigkeit zu geben, weil es ihnen ihre Unlösbarkeit nimmt.

Welche Gedanken machen Sie sich über das Thema Sicherheit?
Ich habe noch nie auf der Bühne gestanden und den Zuschauerraum mit meinen Adleraugen durchforstet, ob da irgendwo vielleicht jemand mit bösen Absichten drinstehen könnte. Als ich mit der Musik anfing, habe ich mich oft mit einer Sturmmaske dargestellt und die Rolle eines Terroristen gespielt. Mit der Zeit kamen viele Fans mit solch einer Maske auf meine Konzerte. Wenn so etwas tatsächlich passierten sollte, dann ist das für mich persönlich genau das selbe, als fiele mir ein Scheinwerfer auf den Kopf und ich stürbe. Das ist wahrscheinlich schon häufiger passiert, als dass ein ein Künstler von einem Terroristen erschossen wurde.

Immer wieder finden Künstler unter Alkohol- und Drogeneinfluss den Tod. War das der Anlass zu dem Song „Ein Problem mit Alkohol“?
Den Refrain habe ich betrunken geschrieben. Die Menschen sagen, sie würden nur am Wochenende trinken oder beim Feiern mit anderen, aber ist es dann wirklich kein Problem? Ich habe dann mal geschaut, wie es sich anfühlt, sich laut zu einer Sache zu bekennen, zu der man sich noch nie bekannt hat. Dabei ist ein Refrain entstanden, den ich mit einem anderen Thema verknüpft habe: nämlich dem Wahn, sich für eigene Fehlbarkeiten zu entschuldigen und Ausreden zu suchen in der Verkorkstheit der Welt. Also Dingen, die einem angeblich das Recht geben, sich zu besaufen und seine Mitmenschen wie Scheiße zu behandeln.

Wie hoch sind die Anforderungen an den Beruf des Künstlers?
Das Leben als Künstler bringt tatsächlich einige Herausforderungen mit sich. Zum Beispiel die Schwierigkeit, sein eigener Chef zu sein. Das bedeutet, dass man hart mit sich sein, aber sich auch etwas gönnen muss. Das kann in beide Richtungen schwer sein. Solche Anforderungen können einem das Recht geben, sich einen Ausgleich in Drogen und Alkohol zu suchen. Ich möchte allerdings gerne davon abraten.

Sie besingen die „freie Liebe“. Dabei ist überall von einer neuen Biederkeit die Rede. Gibt es heutzutage noch Groupies?
Klar. Je prüder die gesamtgesellschaftliche Situation wieder wird, desto stärker sind auf der anderen Seite die Auswüchse und Perversionen. Die Pornoseiten werden immer extremer, die Formulierungen immer drastischer und die Empörung dagegen wird immer stärker.

Warum sind Sie Musiker geworden? Wollten Sie Mädchen beeindrucken?
Jeder Künstler wollte mal Mädchen beeindrucken, aber wenn ich nur das hätte machen wollen, hätte ich mir etwas anderes ausgesucht als Rapmusik. Die galt in meinem Umfeld als sehr uncool. Ich hätte wahrscheinlich eher Punkrock machen oder BWL studieren müssen. Für die Musik habe ich mich jedoch aus einem ganz anderen Grund entschieden: Ich wollte unbedingt etwas machen, was keinem Wettbewerb und keinen Zahlen unterliegt. Musik ist immer Geschmackssache. Selbst wenn niemand meine CD kaufen würde, kann mir niemand erzählen, ich hätte meine Zeit und Liebe in wertlose Scheiße investiert. Für irgendjemand ist immer irgendetwas Gutes geschehen.

Wie wollen Sie dieses komplexe Album auf die Bühne bringen?
Von der Inszenierung habe ich gigantische Skizzen gemacht. Meine Bühnenbildner raufen sich bereits die Haare darüber, was sie da alles umsetzen müssen. Die Komplexität des Albums steht mir bei der Inszenierung nicht im Wege. Je mehr Facetten ich habe, desto vielseitiger kann die Show werden. Die Metalelemente lassen sich hervorragend in meine Bandkonstellation einfügen. Wenn Wacken sich melde sollte, werde ich nicht lange zögern.

Alligatoah auf Tour

Der Rapper geht auf „Wie Zuhause Tour 2019“ und gastiert am 19. Januar um 19.30 Uhr im Zenith in München und am 27. Januar um 19.30 Uhr in der Arena in Leipzig. Karten gibt es bei uns.