Mr. Albarn, musikalisch ist „Humanz“…
…ein wilder Ritt! Ich weiß, es erschlägt dich fast mit seiner Fülle, das ist schon wirklich abartig viel Musik (lacht). Aber wieso nicht aus dem Vollen schöpfen? Wir wollten eine Platte machen, die ganz und gar nach heute klingt, meinem Produzenten The Twilite Tone gebührt hier besondere Erwähnung. Musik ist immer eine Gemeinschaftsarbeit. Ich bin der Architekt, aber ich baue das Haus nicht.

Zu den handverlesenen Gästen zählen neben vielen weiteren Jehnny Beth von der Band Savages, Carly Simon, De La Soul und Grace Jones. Welche Kollaboration ist Ihnen besonders in Erinnerung?
Grace Jones. Grace war unvergesslich, einfach krass. Es hat lange gedauert, Monate, um sie in die richtige Stimmung und ins Studio zu bekommen, wir trafen uns erst in Jamaica, aber da war sie noch nicht bereit. Jetzt singt sie auf dem Song „Charger“, und Mann, was ist sie für eine Kraft, für eine Naturgewalt. Als sie künstlerisch auf Empfang war, glühte sie richtig. So etwas habe ich noch nicht bei vielen Menschen erlebt.

Wann glüht Damon Albarn?
Im Studio vor allem. Wenn ich dabei bin, neue Einfälle umzusetzen. Ich bin ein sehr neugieriger Mensch. Dieses Album sollte für mich so viel Abenteuergeist wie möglich haben. Man darf als Hörer nicht schon vorher wissen, wo es hingeht.

Ihr neues Album heißt „Humanz“. Wendet sich das Virtual-Reality-Projekt nun dem Menschen zu?
Ja, wahrscheinlich ist „Humanz“ das menschlichste Album, das wir bislang gemacht haben. Ich habe im Januar 2016 mit der Arbeit an der Platte begonnen und seitdem mindestens 40 Stücke geschrieben. „Humanz“ ist jetzt nur eine von vielen möglichen Erzählungen. Alles, was auf diesem Album drauf ist, war vor 15 Monaten nur eine düstere Phantasie, vielleicht schon eine dunkle Vorahnung von dem, was inzwischen Wirklichkeit geworden ist.

Wie sah Ihre Phantasie denn im Detail aus?
Ich stellte mir vor, was wäre, wenn Donald Trump Präsident der Vereinigten Staaten werden würde. Wenn der Brexit wirklich passieren würde. Wir spielten mit diesen aus damaliger Sicht extrem unwahrscheinlichen Ereignissen herum, die mittlerweile unser Alltag geworden sind. Aber es finden sich keine unmittelbaren Referenzen zu diesen Themen auf dem Album. Es ist keine Abrechnung. Ich habe keinerlei Lust, über Donald Trump zu singen. „Humanz“ handelt von Menschen und ihren Regungen, Empfindungen, Nöten und Hoffnungen in einer veränderten Welt.

Haben Sie wirklich für realistisch gehalten, was seitdem geschehen ist?
Ja. Für unwahrscheinlich, aber möglich. Je mehr sich das vergangene Jahr entfaltete, desto näher kam die Realität meiner düstersten Phantasie. In dem Sinne war das natürlich eine großartige Entwicklung, denn sie bestätigt mich voll und ganz.

Was hätten Sie gemacht, wenn die Sachen anders ausgegangen wären?
Nichts. Das Album trotzdem veröffentlicht. Dann wäre es einfach eine Dystopie gewesen, die nicht wahr geworden ist.

„Hallelujah Money“ – der Gesang kommt von Benjamin Clementine – eine der wenigen langsamen Nummern, brachten Sie am Tag der Trump’schen Amtseinführung heraus.
Ja, das erschien uns angemessen. Der Song ist im Grunde ein Walzer, und als ich ihn schrieb, stellte ich ihn mir als Untermalung für genau diesen Anlass aus.

Die Songsammlung hat trotz allem eine hoffnungsvolle Grundausrichtung. Im letzten Song „We Got The Power“ heißt es: „Wir haben die Macht, uns gegenseitig zu lieben, egal, was kommt.“
Das ist exakt meine Einstellung. Wir müssen uns wieder herausnavigieren aus den irrsinnigen Turbulenzen der Zeitgeschichte, in denen wir nun einmal stecken. „Humanz“ ist auch kein Protestalbum, sondern ein Spiegel unserer Zeit.

Wie groß ist der Anteil der Comic-Charaktere an dieser Erzählung?
Die Figuren haben ein Eigenleben. Irgendwie ist es Jamie und mir gelungen, das alles zusammen zu weben. Die Charaktere machen die Musik und die Ideen zugänglicher und weniger angsteinflößend. Sie erhellen unseren dunklen Weltentwurf.

Es war zu lesen, dass Sie beiden sich zerstritten hatten, ein weiteres Gorillaz-Album schlossen sie zwischenzeitlich sogar aus. Haben Sie sich wieder vertragen?
Wir hatten definitiv Klärungsbedarf, und nach unserem Album „Plastic Beach“, das 2010 erschien, konnten wir uns nicht mehr vorstellen, wieder zusammen zu arbeiten. Das war zum Glück nicht das letzte Wort in unserer kreativen Partnerschaft. Wir haben unsere Zweisamkeit neu justiert, sind räumlich auf Abstand gegangen, die Arbeit ist jetzt mehr Korrespondenz als ständiger Dialog. Als wir mit Gorillaz anfingen, wohnten wir zusammen, jahrelang hatten wir unsere Arbeitsräume im selben Gebäude, doch seit einigen Jahren lebt Jamie in Paris. Er ist in Europa, und ich bin auf dieser verdammten Insel gefangen. Hoffentlich fährt der Eurostar weiter.

Ist der Brexit für Sie, ihr Leben, ihre Werte nicht eine einzige Verhöhnung ihrer Werte?
Zu hundert Prozent. Der Brexit ist schrecklich, einfach nur schrecklich. Ich habe immer daran geglaubt, dass wir, die alle auf einem Planeten leben, auch irgendwo alle an einem Strang ziehen. Ich bin Globalist, nicht in dem Sinne, dass ich an Großunternehmen und Gier glaube, sondern in dem Sinne, dass ich verstehe, wie ähnlich wir alle sind und wie abhängig voneinander. Wir Menschen müssen uns respektieren und das bewahren, was unser Zusammenleben ausmacht.

Sie sind in London geboren und haben die Welt gesehen. Wie englisch fühlen Sie sich?
Ich fühle mich sehr englisch, ich bin unserer Kultur und Lebensart immer sehr verbunden gewesen, und bin es noch. Aber zugleich empfinde ich mich als absoluten Europäer. Für mich ist immer noch unerklärlich, dass wir als Volk diese törichte Entscheidung getroffen haben.

2014 haben Sie das ruhige, sehr persönliche Solo-Album „Everyday Robots“ veröffentlicht, auf dem Sie auch über ihren Heroinkonsum in den Neunzigern sprechen, 2015 kam überraschend mit „The Magic Whip“ ein neues Album von Blur. „Humanz“ klingt komplett anders, sehr groovy, rhythmisch, nach HipHop, R&B, Soul, Reggae und anspruchsvoller Dance Music. Warum diese Brüche und abrupten Haken in Ihrem Schaffen?
Ich hatte das Gefühl, ich muss mir selbst einen ordentlichen Tritt in den Hintern verpassen. Ich wollte und musste unbedingt ein schnelles, dynamisches Pop-Album machen. Die Sachen davor wurden immer langsamer und melancholischer, so konnte es nicht weitergehen. Ich wollte dringenden, drängenden, sehr zeitgemäßen Pop machen. Pop ist für mich übrigens die schwerste und erschöpfendste Musikrichtung von allen. Pop ist echt sauschwer.

Warum?
Weil meine musikalische Sprache recht abstrakt ist. Meine Songs sind nie sehr direkt, nie sehr geradeheraus, und die Sprache, die ich benutze, ist oft komisch und undurchschaubar. Und der zweite Grund ist: Weil ich bei Pop besonders hohe Ansprüche an mich stelle. Wenn ich Pop mache, muss das etwas echt Wunderbares werden. Deshalb passiert so eine Platte bei mir auch nur ungefähr alle zehn Jahre.

Ist 49 ein gutes Alter für Sie?
Ich bin ganz glücklich über mein Alter. Ja, man kann sagen, ich bin recht zufrieden damit, wo ich im Leben stehe. Ich fühle mich soweit ganz jung. Die Midlife Crisis will ich demnächst auf der Bühne ausleben. Ich werde tanzen! Stellen Sie sich das bloß vor. Ich habe noch nie auf der Bühne getanzt.

Warum jetzt?
Weil die Songs förmlich dazu zwingen. „Strobelite“ etwa ist ein mordsmäßig grooviges Stück Musik, das wird richtig geil auf der Bühne. Wir werden auch Tänzerinnen und Tänzer dabei haben, ich selbst tanze übrigens schrecklich, wie Sie sich vermutlich schon gedacht haben.

Gehen Sie oft in Nachtclubs?
Vielleicht ein bis zwei Mal im Jahr. Und dann auch nur, wenn ich genötigt werde.

Wie sieht Ihre Welt abseits der Musik aus?
Heute zum Beispiel bin ich um 6 Uhr aufgestanden, um 7 Uhr habe ich eine Stunde Yoga gemacht. Yoga ist großartig. Ich will das eigentlich jeden Tag machen, schaffe aber nur im Schnitt fünf Mal pro Woche, was ja auch nicht übel ist. Dann Frühstück um halb 9, ins Studio um halb 10, ich bleibe ungefähr bis 6, dann heim, Feierabend. So war mein Zyklus im Grunde das ganze letzte Jahr. Ich bin mehr ein Tagmensch, was die Arbeit angeht, und ich arbeite wirklich kontinuierlich. Die Beschäftigung mit Musik ist so integriert in mein Leben, dass ich mir nicht sicher bin, ob es diesen Punkt, der Arbeit und Nicht-Arbeit voneinander trennt, bei mir überhaupt gibt.

Bringen Sie Arbeit mit nach Hause?
Ich schreibe dort manchmal. Aber ich setze mich nicht unbedingt ans Klavier, wenn ich schon den ganzen Tag im Studio gespielt habe. Ich koche lieber, gucke Fernsehen, schlafe oder hänge ab mit Frau und Tochter. Mein Familienleben ist ganz gewöhnlich.

Bekommen die beiden mit, an was für Musik Sie gerade arbeiten?
Ich habe die Platte so oft daheim gespielt, dass sie meiner Familie zu den Ohren heraushängt (lacht). Die wollen das nicht mehr hören. Ich auch nicht. Wenn etwas fertig ist, gehe ich im Kopf gleich weiter. Gerade bereite ich ein neues Album von The Good, The Bad & The Queen (Band mit Paul Simonon/ The Clash, Tony Allen/ Mitbegründer des Afrobeat, Simon Tong/ Ex-The-Verve) vor, anschließend werde ich an einem großen Theaterprojekt in Frankreich arbeiten, über das ich hier noch nichts verraten darf.

Nehmen Sie Ratschläge von Frau und Tochter an?
Selbstverständlich. Meine Tochter Missy ist 17, und es ist verdammt cool, eine 17-Jährige im Haus zu haben, die phantastische Ohren hat, in dieser Welt aufwächst und zu allem ihren Senf dazu gibt.

Die Gorillaz auf Tour
Die Band steht am 11. November um 20 Uhr auf der Bühne im Zenith in München. Die Band steht am 11. November um 20 Uhr auf der Bühne im Zenith in München. Auf der „Humanz Tour“ sind Murdoc Niccals (Bass), Noodle (Gitarre), Russel Hobbs (Schlagzeug) and 2D (Vocals) von der Gorillaz-Live-Band begleitet. Dazu gehören Damon Albarn, Gabriel Wallace, Mike Smith, Jesse Hackett, Jeff Wootton, Karl Vanden Bossche, Seye Adelekan – sowie einige Überraschungsgäste.