Veranstaltungstipps Jan Garbarek: "Ich könnte jederzeit aufhören"

Das Gespräch führte Andrea Herdegen
Jan Garbarek,der diesen März 70 geworden ist, gehört zu den wichtigsten Jazz-Musikern Europas. Quelle: Unbekannt

Der Norweger Jan Garbarek hat sich Anfang der 1960er-Jahre in den Jazz verliebt und ist ihm treu geblieben. Heute ist der 70-Jährige eine Saxofon-Legende.

 
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Herr Garbarek, können Sie mir den Moment beschreiben, als Sie zum ersten Mal John Coltranes "Count Down" im Radio hörten?

Ich war ein ganz normaler Junge, dreizehn oder vierzehn Jahre alt. Ich war mit meinen Freunden draußen. Als es Zeit war, zum Abendbrot reinzugehen, lief diese Musik im Radio. So etwas hatte ich noch nie gehört. Es war großartig. Es hat mich einfach umgehauen. Ganz ehrlich: Das war der Moment.

Und was passierte dann?

Nun, ich habe nachgeforscht. Ich habe den Radiosender angerufen und gefragt, was genau zu jener bestimmten Zeit gespielt worden war. Man sagte mir, es sei das Stück "Count Down" von John Coltrane gewesen. Als ich die Platte endlich hatte, habe ich sie jeden Tag gespielt, bevor ich zur Schule ging. Mindestens ein Jahr lang. Wirklich jeden Tag.

Sie kannten also Coltranes Musik in- und auswendig?

Ja, zumindest auf einem intuitiven Niveau. Ich hatte ja keine Ahnung von Musik, ich hatte nie ein Instrument gespielt. Ich wusste nicht das Geringste von der Komplexität, die dieser Musik innewohnte. Doch trotzdem berührte mich diese Musik sehr, sehr stark und sehr direkt.

Sie werden als einer der einflussreichsten Musiker der europäischen Jazz-Szene bezeichnet. Sie selbst behaupten aber, Ihre Musik sei "nur entfernt verwandt mit Jazz". Was meinen Sie denn mit diesen Worten?

Das ist alles eine Frage der Definition. Was ist Jazz? Für mich ist wahrer Jazz die Musik, die von den 1920ern bis etwa 1965 gespielt wurde. Das war das goldene Zeitalter des Jazz. Danach veränderte sich vieles, verzweigte sich in viele Strömungen, die keinen eigenen Namen haben.

Wie ist denn Ihre Musik mit dem Jazz verwandt?

Nun, ich nutze die Improvisation. So einfach ist das.

Wie hat sich das Musikgeschäft in den vergangenen Jahren verändert?

Der ganze Prozess des Album-Machens ist nicht mehr so, wie er war, als ich angefangen habe. Wir haben damals noch Langspielplatten gemacht. Und diese LPs waren etwas Ganzheitliches, sie waren ein Gesamtkunstwerk. Heutzutage kann man ein einzelnes Stück herausbringen auf Spotify oder iTunes. Mehr als ein Stück braucht man in Zeiten des Internets nicht mehr.

Einige Ihrer Alben werden gelobt als "Meilensteine der europäischen Jazz-Geschichte". Was ist denn so besonders an der Art, wie Sie spielen?

Das kann ich Ihnen nicht sagen.

Ist es wie bei John Coltrane? Ist es das Gefühl, das bei Ihnen in jeder Note mitschwingt?

Könnte sein. Aber das ist eine Sache, die auch das Gegenüber braucht. Auch der Zuhörer muss Emotionen entwickeln. Das Gefühl, das in der Musik mitschwingt, muss vom Zuhörer erkannt werden. Erst dann kann es eine Reflexion dieser Emotion in dessen eigener Gefühlswelt auslösen. Vielleicht erschaffe ich tatsächlich etwas, das diese emotionale Reflexion in manchen Menschen auslöst.

Sie werden auch "Meister der Stille" genannt, weil Sie Ihre Pausen so virtuos setzen. Wie wichtig ist es denn, manche Töne nicht zu spielen?

Sehr wichtig! Das ist etwas, das ich nicht von John Coltrane, sondern von Miles Davis gelernt habe. Durch ihn habe ich erstmals bemerkt, wann man spielen sollte und wann nicht. Das ist wirklich eine schwierige Angelegenheit. Pausen sind natürlich auch deshalb wichtig, weil sie mir den Sauerstoff für meine Improvisationen geben. Außerdem: Wenn ich nicht spiele, höre ich, was die anderen in der Band spielen. Und kann darauf reagieren. Stille ist eine sehr gute und sehr kreative Sache für mich.

In Helmbrechts werden Sie mit dem indischen Perkussionisten Trilok Gurtu auftreten. Wie passt das zusammen, Musik aus Norwegen und Musik aus Indien?

Oh, Trilok inspiriert mich sehr, weil er ein extrem kreativer Musiker ist. In seinem Spiel sind immer sehr inspirierende Stellen, die meine eigenen Improvisationen vorwärts bringen. Ich denke aber, das funktioniert in beide Richtungen so.

Reagiert das deutsche Publikum anders auf Ihre Musik als die Zuhörer in anderen Ländern?

Die Antwort, die Sie enttäuschen wird, ist: Nein (lacht). Die Menschen sind da überraschend ähnlich. Sie reagieren auf die gleichen Dinge und meist sogar ziemlich genau auf die gleiche Weise. Das hat wohl damit zu tun, dass wir - wie ich vorhin schon sagte - alle schon so viel von immer dem Gleichen gehört haben. Jeder hat alles schon gehört, alles kann von jedem wiedererkannt werden. Ich kann also dem deutschen Publikum kein Zertifikat für Einmaligkeit ausstellen, sorry (lacht).

Es gibt Stimmen, die behaupten, gäbe es Deutschland nicht, wären viele Jazz-Musiker arbeitslos. Deutschland ist so ein bedeutender Markt für diese Art von Musik.

Das habe ich auch gehört. Und das gilt wohl vor allem für amerikanische Jazz-Musiker. In den Vereinigten Staaten spielen die großartigsten Musiker in winzigen Jazz-Clubs in New York oder anderen großen Städten. Andere Auftrittsmöglichkeiten gibt es kaum. In Europa gibt es große Jazz-Festivals und auch eine gute Infrastruktur für Solo-Konzerte. Hier kann man wirklich viele Menschen erreichen. Also, es ist wohl schon ein Körnchen Wahrheit in dieser Aussage. Übrigens nicht nur, was die Jazz-Musik betrifft. Das gilt für die Klassik gleichermaßen. Außerdem ist Deutschland ein perfektes Land zum Touren. Es ist dicht bevölkert, die Fahrzeit zur nächsten halbwegs großen Stadt beträgt meist nicht mehr als zwei Stunden.

Was bedeutet es Ihnen, Musiker zu sein?

Eine große Frage. Ich sollte ja kein Musiker werden, das war nicht der Plan. Trotzdem ist es wohl einfach passiert. Reiner Zufall. Aber: Musiker zu sein, das ist alles, was ich je war. Das klingt jetzt wie ein Klischee, aber: Musik ist mein Leben, sie bedeutet alles für mich.

Sie haben aber mal gesagt, dass Sie jederzeit damit aufhören könnten.

Es ist wahr: Ich könnte jederzeit aufhören.

Würden Sie das Musikmachen nicht vermissen?

Ja, schon. Aber es gibt noch andere Sachen. Man kann Musik auch genießen, wenn man nur zuhört. Ich habe noch nie versucht, mit dem Musikmachen aufzuhören, deshalb kann ich Ihnen auch nicht sagen, wie das für mich wäre.

Im Namen Ihrer Fans hoffe ich, dass dieser Zeitpunkt weit in der Zukunft liegt.

Danke schön. Ich hoffe, dass ich weitermachen werde, so lange mein Körper mitspielt. Und so lange es jemanden gibt, der das gerne hören möchte. Andererseits: Ich denke, ich würde wohl auch ohne Zuhörer weitermachen.

Jan Garbarek auf Tour

Jan Garbarek tritt am Freitag, 15. Dezember, um 20 Uhr in der Helmbrechtser Göbel-Halle bei den Kulturwelten auf.Karten gibt es im Ticketshop unserer Zeitung. Infos unter www.textilmuseum.de.