Veranstaltungstipps Konstantin Wecker: "Kunst hilft den Schwächeren"

Das Gespräch führte Olaf Neumann
 Foto: Thomas Karsten

Konstantin Wecker, Liedermacher, Poet, Aktivist und bekennender Anarchist, wird seit jeher gehasst und geliebt. Wir sprachen mit ihm über seine Konfrontationslust und Pazifismus.

 
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Wenn man sich Ihre heutigen Konzerte anschaut, hat man das Gefühl, dass da jemand für die Musik brennt und die Kunst als Widerstand versteht. War das schon immer so?
Das ist meine Leidenschaft für die Musik und die Poesie. Ich habe mit 12 Jahren angefangen, Gedichte zu schreiben. Ich dachte mir, wenn ich sie vertone, dann bringe ich sie unter die Leute. Zuerst habe ich es mit der Gitarre versucht, aber nachdem ich Georg Kreisler gehört hatte, wusste ich, dass ich das auch mit dem Klavier machen kann.

Sind Sie in erster Linie Poet?
Ich schreibe gerade an einem neuen Buch. Der Untertitel lautet „Poesie ist Widerstand“. Das ist für mich kein Widerspruch. In allen Diktaturen wurden als erstes die Kunst und die Poesie abgeschafft. Die Diktatoren haben genau gespürt, dass da etwas ist, was sie nicht verstehen und ihnen gefährlich werden kann.

Wie denken Sie über Gewaltanwendung und Widerstand?
Auf Gewalt verstehen sich die Machthaber besser, das ist ihr Geschäft. Sensibilität, Zärtlichkeit, Poesie hingegen verstehen sie überhaupt nicht. Darin liegt der eigentliche Widerstand, den wir leisten müssen.

Ist Liederschreiben die Verteidigung von Menschenrechten auf künstlerischer Ebene?
Ja, immer schon gewesen. Die Kunst schützt und hilft den Schwächeren und denen, die keine Stimme haben. Also allen Außenseitern, den seitlich Umgeknickten, die in Diktaturen als erste ausgeschaltet und gedemütigt werden.

Der sächsische AfD-Politiker André Poggenburg hat die in Deutschland lebenden Türken in seiner Aschermittwochsrede als „Kameltreiber“ und „Kümmelhändler“ bezeichnet. Wird Fremdenhass allmählich wieder hoffähig?
Solche Sprüche habe ich immer schon gehört. Bis zu 15 Prozent der Bevölkerung Europas sind latente Reaktionäre und potenzielle Faschisten. Aber solche Sprüche waren nie hoffähig, weil wir Deutschen unsere schreckliche Geschichte im Vergleich zu allen anderen gut aufgearbeitet haben. In den meisten anderen Ländern ist die Vergangenheit meist totgeschwiegen worden. An dieser Aufarbeitung der Geschichte waren wir 68er ganz entscheidend beteiligt. Sie bot uns die Möglichkeit zu einem Umdenken. Und jetzt kommt die AfD mit einem Trick an: Sie lässt bewusst etwas Rassistisches raus und anschließend wird ein bisschen besänftigt. Aber es erreicht diejenigen, die auf sowas warten. Das ist schauerlich!

1968 saßen noch viele Ex-Nazis an führenden Stellen in der Bundesrepublik. Waren Sie darauf vorbereitet?
Ich hatte das Glück einer tollen Familie. Meine Eltern waren Antifaschisten. Bei vielen meiner Schulkameraden wurde aus Scham alles totgeschwiegen.

Ihr Vater verweigerte im Dritten Reich den Kriegsdienst. Wie hat er diese mutige Tat überlebt?
Mit Glück. Ein Offizier ließ ihn bewusst davonkommen, indem er ihn für verrückt erklärte, anstatt ihn an die Wand zu stellen. Mein Vater ist dafür verantwortlich, dass ich mich frei bewegen und frei denken konnte, zusammen mit meiner Mutter. Ich habe eine antiautoritäre Erziehung genossen, was kaum vorstellbar ist in dieser Zeit. Politisiert hat mich schließlich die 68er-Revolte. Diese Revolution war zusammen mit der Hippie-Bewegung eine der spannendsten Bewegungen der Menschheitsgeschichte. Damals wurden alle autoritären Strunkturen infrage gestellt. Dass es dann wieder in kruden ideologischen Forderungen endete, ist sehr traurig. Aber der Anfang war fast anarchisch. Wohngemeinschaften damals waren gelebte Anarchie.

Wie definieren Sie Anarchie?
Ich möchte das Wort vom Schmuddel befreien. Anarchie bedeutet herrschaftsfrei zu denken. Man hat damals jede Form von Herrschaftsstruktur infrage gestellt. Das ist jetzt wieder notwendig.

Was erwarten Sie heute von den Herrschenden?
Ich sehe mittlerweile überhaupt nicht mehr ein, wieso ein Mensch das Recht haben sollte, einem anderen etwas zu befehlen. Ich sehe ein, das wir als Gemeinschaft uns Regeln schaffen müssen, aber das sind zuerst einmal keine Befehle. Der Psychologe Arno Gruen hat mit über 90 das Buch „Wider den Gehorsam“ geschrieben. An dem ganzen Elend der beiden Weltkriege ist der Gehorsam Schuld, der an erster Stelle stand. Die autoritäre Erziehung. Beim Militär wird immer noch ein blinder Gehorsam gefordert. Ich stelle mit meinem Denken 10.000 Jahre Menschheitsgeschichte infrage!

Finden Sie es richtig, wenn die etablierten Parteien ein Stück nachts rechts rücken, um AfD-Wähler zurückzugewinnen?
Wenn Sie diesen Fehler nicht gemacht hätten, hätten wir jetzt keine so starke AfD! Auch das hat zu tun mit Machterhaltungsgründen. Damit man wenigstens seinen Ministerposten behalten kann, schreibt man sich auch etwas von deren Forderungen mit aufs Papier. Es ist auch dem Versagen der europäischen Sozialdemokratie geschuldet, dass die Rechten so stark werden konnten. In dem Moment, wo die Sozialdemokratie sich dem Markt angebiedert hat, ging es los. Mit der Agenda 2010 hatte sie die Chance verwirkt, den Abgehängten beizustehen. Ich kann nur hoffen, dass sie sich besinnt.

Die Welt steht laut Sigmar Gabriel an einem Abgrund. Können Sie da noch optimistisch bleiben?
Schwer. Aber ich stehe 100 Tage im Jahr auf einer Bühne und begegne Menschen, die mir Mut machen. Ich merke heute viel deutlicher als früher, dass Kunst Menschen zu ermutigen vermag. Sich selbst in einem Werk zu entdecken macht einem Mut. Mein Publikum und ich sind nicht immer der gleichen Meinung, aber wir haben die gleiche Sehnsucht nach einer gerechteren, humanen und demokratischen Welt. Ich konnte 70 Jahre lang in Frieden leben und musste nicht hungern. Dieses Glück führt zu einer gewissen Verantwortung. Dadurch, dass ich in Frieden leben konnte, habe ich überhaupt die Chance, nicht kriegstraumatisiert zu denken. Ich muss nicht hassen. Aber wir sind gerade dabei, diese demokratische Chance zu versemmeln. Wie vernünftig ist eine Politik, die die Erde an den Rand des Abgrunds gebracht hat? Dieser Vernunft kann man doch nicht trauen! Man will jetzt sogar kleinere Atombomben bauen, damit man sie auch wirklich einsetzen kann. Würde man denjenigen, der sowas vorhat, als einen Mörder bezeichnen, würde man wahrscheinlich verhaftet werden.

Hatten Sie je das Gefühl, ausgestoßen, angefeindet, unerwünscht zu sein?
Die Anfeindungen waren eher ein sich lustig machen über so jemanden wie mich. Heute wird jeder, der noch Empathie zeigt für Flüchtlinge, als rettungsloser Gutmensch verlacht. Wer nicht ins System passt, wird als naiv und blöd beschimpft. Dabei ist „Make Love Not War“ einer der schönsten Sätze, die es gibt!

Sind Sie wie Ihr Vater Kriegsdienstverweigerer?
Ich habe verweigert, aber den Einspruchstermin verschludert. Mir war eh klar, dass ich nie zum Militär gehe. Und plötzlich bekam ich einen Einberufungsbefehl. Mein Vater ist dann mit diesem Schreiben zum Kreiswehrersatzamt gegangen und hat es vor den Augen der Militärs zerrissen. Allein das war schon eine Straftat. Mein Vater sagte: „Ich war bei den Nazis nicht im Krieg und mein Sohn geht hier auch nicht zum Militär!“ Dann haben sie sich wohl gesagt, der Alte ist verrückt und der Junge wahrscheinlich auch. Ich musste dann eine Musterung machen, auf die ich mich gut vorbereitet hatte. Am Ende wurde ich auf Lebenszeit vom Kriegsdienst freigestellt.

Wie hatten Sie sich auf Ihre Musterung vorbereitet?
Ich habe tagelang kaum geschlafen und bei der Musterung gesagt, dass ich eigentlich ganz gern zum Militär gehen würde, aber ich glaube, das kann ich nicht, denn ich hätte so viel Heimweh. Und wenn ich wieder zuhause bin, so ein Fernweh. Darauf haben sie mich für verrückt erklärt. Einen wie mich könne man nicht brauchen.

Haben Sie auch eine dunkle Seite?
Ein eindrückliches Erlebnis war, als ich in dem Film „Wunderkinder“ einen SS-Mann gespielt habe. Als ich die Nazi-Uniform anhatte, war ich von der ersten Sekunde an verwandelt. Das ging so weit, dass ich etwas in mir entdeckte, was dieser SS-Mann war. Im Film hatte ich plötzlich die Möglichkeit, über andere zu bestimmen. Später las ich einen Satz von einem Holocaust-Überlebenden: „Wer noch nie den Faschisten in sich entdeckt hat, hat kein Recht, sich Antifaschist zu nennen“. Die Möglichkeit wohnt in uns allen.

"Lieder auf Banz"

Konstantin Wecker tritt neben anderen Künstlern bei „Lieder auf Banz: Ein Abend mit Freunden“ auf: am 6. und 7. Juli um 19 Uhr auf der Klosterwiese in Bad Staffelstein. Karten gibt es bei uns.