Sie bewerben Ihre neue Bühnenshow „Über alles“ mit einem provokanten Foto. Darauf machen Sie eine Geste, als wollten Sie auf die deutsche Fahne urinieren. Ist das Ihre Art, gegen den neu aufkeimenden Nationalismus zu protestieren?
Auf dem Foto bin ich erst mal nur nackt und die Wurst ist ja noch nicht hart. Ich glaube, es wäre eher ein Ejakulieren. Das Zeug, was die AfD in den letzten zwei Jahren so geredet hat, hat mich einfach so geil gemacht. Zehn Jahre lang hat Daniel Josefsohn meine Cover gemacht, aber er ist voriges Jahr verstorben. Zuerst wollte ich etwas Neutrales machen, aber dann habe ich dieses Fotos mit Daniels Witwe und seinem ehemaligen Assistenten gemacht. Es ist meine letzte Verbeugung vor ihm. Der Titel der Show „Über alles“ ist dreideutig, im Kern geht es darum, dass ich über alles spreche. Es ist vorerst meine letzte Stand-Up-Show, weil ich noch einen Schritt weiter gehen und andere Grenzen überschreiten will.

Haben Sie nicht längst alle Tabus gebrochen?
Ich verstehe, dass sowas über mich geschrieben wird. Aber für mich sind das keine Tabus. Die Welt da draußen ist viel härter als alles, was ich als Stand-up-Comedian auf der Bühne erzähle. Die Leute greifen mich als Komiker an, indem sie sagen: Das geht ja gar nicht! Dabei sollten sie sich lieber um andere Dinge kümmern, die wirklich nicht gehen. Jim Jefferies hat in Amerika eine Nummer über den angeblichen Vergewaltiger Bill Cosby gemacht, und darüber, dass plötzlich Leute vor Jefferies Studio demonstriert haben. Aber eigentlich hätten sie das doch vor Bill Cosbys Studio machen müssen! Das wirft die alte Frage auf: Kann man die Kunst von dem Künstler trennen? Ich finde, nein.

Wegen des Spruchs „Gast oder Spast“ bei Twitter waren Sie bei vielen Besuchern der letzten Grimme-Preisverleihung nicht gern gesehen. Teile der Jury wollten Sie sogar ausladen. Können Sie das nachvollziehen?
Ja, aber ich denke dann auch: „Komm mal klar“. Wenn ich sage, „Dicker“ oder „Alter“, dann will ich damit ja keine alten oder dicken Menschen diskreditieren. Es stellen sich aber immer welche hin, die behaupten, ich hätte es anders gemeint. Es ist für mich okay, wenn sie das, was ich sage, blöd finden. Es gibt Leute, die sind gegen Flüchtlinge in Deutschland . Das heißt aber noch lange nicht, dass sie damit unbedingt im Recht sind.

Viele, die eher klassisches Kabarett gewöhnt sind, verstört Ihr Humor. Fühlen Sie sich missverstanden?
Mein Ziel ist nicht, im Olympiastadion zu spielen. Andererseits war ich am Tag des Anschlags auf Charlie Hebdo in New York und sah Louis C.K. im Madison Square Garden vor 18.000 Zuschauern. Aber es war trotzdem intim. Ich glaube, wenn man etwas lange genug durchzieht, gibt es einen Kern an Leuten, der dich versteht. In Berlin ist eine neue alternative Comedyszene mit jungen Leuten am Start, die einen ähnlich Ansatz verfolgen wie ich. Sie treten jeden Abend irgendwo in der Stadt auf. Vor jungen Leuten kann ich mein Material besser austesten und es gibt weniger Missverständnisse.

Mit welchen Missverständnissen sehen Sie sich immer wieder konfrontiert?
Bei bestimmten Schlagworten wie „Down Syndrom“, „Leichen“ oder „Abtreibung“ machen manche grundsätzlich zu. In einem Film hingegen kannst du das bringen, da sind die Leute auf der sicheren Seite. In dem Moment, wo jemand vor dir steht und das ausspricht, gibt es manchmal eine Irritation. Da geht es dann auch nicht darum, das mit Ironie oder Satire zu retten, sondern ich sage das, weil ich das komisch finde. Zu „Abtreibung“ meinte ich zum Beispiel: „Es gibt Leute, die sind dagegen und es gibt welche, die waren noch nie bei Primark“. Man darf über alles Witze machen, meine Güte! Aber sie müssen gut sein.

Von welchen der „bürgerlichen Benimmregeln und ungeschriebenen Society-Gesetzen“ möchten Sie sich abgrenzen?
Zum Beispiel „Das sagt man nicht“ oder „Das macht man nicht“. Es gibt für die neue Show kein Korsett, keine Grenzen und keine Regeln. Außer dass es voll lustig sein muss. Und wenn es nicht lustig ist, habe ich zumindest die Pflicht, interessant zu sein. Es kann auch sein, dass ich total versage, aber dann ist es halt so. In dieser Show geht es um die Wurst.

Was verstehen Sie unter deutschem Bausparer-Humor?
Humor auf der sicheren Seite. Humor, bei dem die Leute sich in ihrem Denken bestätigt fühlen.

Wie kommen Sie auf Ihre Ideen?
Manchmal gehe ich morgens um halb neun mit meinem Hund Arthur raus auf den Spielplatz. Arthur ist da immer sehr lange am Herumschnüffeln, und da sind dann schon Kinder mit ihren Eltern. Wenn man mich so sieht, wirke ich nicht gerade vertrauenswürdig. Manche halten mich für einen Perversen, wenn ich da so verträumt rumstehe, weil sie den Hund nicht sehen. So ein Hund ist wie eine Bescheinigung: der Typ ist in Ordnung. Stellen Sie sich mal vor, Hitler hätte keinen Hund dabei gehabt. Dann hätte man gedacht, mit ihm stimmt etwas nicht. Aber weil er ihn immer dabei hatte, hielt man ihn für einen super Typ.

Versuchen Sie, herauszufinden, wie weit man mit Humor gehen kann?
Nein, es geht mir nicht um Provokation. Im besten Fall ist es unterhaltsam und auch komisch, aber ich versuche nicht, irgendwelche Studien zu machen. Die Grenzen, die es gibt, sind festgelegt worden von Comedy-Institutionen oder berühmten Komikern. Aber es gibt nicht nur das, sondern noch viel, viel mehr.

Ihnen wurde vorgeworfen, für die Quote in Kauf zu nehmen, Menschen zu verletzen. Wie stehen Sie dazu?
Man wird es nie allen recht machen können. Es kann auch sein, dass sich Leute durch etwas verletzt fühlen, aber dann ist das halt so. Ich fühle mich auch durch viele Dinge verletzt, da muss ich dann halt mit umgehen. Ein taz-Journalist, der in der Grimme-Preis-Jury war, hat am Tag der Bekanntmachung einen offenen Brief an mich geschrieben. Und am Ende sagte er noch, er habe selber ein behindertes Kind. Dieser Typ hat nur den Hashtag „Gast oder Spast“ gesehen und sich daran festgebissen. Wenn er wirklich ein Journalist wäre, hätte er sich ein bisschen mehr mit mir befasst und sich vielleicht auch mal eine Folge von „Das Lachen der Anderen“ angesehen. Die Folgen über Multiple Sklerose oder Kleinwüchsige zum Beispiel. Inwieweit gehören diese Menschen zur Gesellschaft dazu? Und wenn sie dazugehören, darf man dann auch Witze über sie machen?

Und: Darf man Witze über Behinderte machen?
Es heißt immer, man müsse tolerant sein. Aber wenn dann mal so ein Downie in der Bahn ausflippt, siehst du, wie alle beschämt weggucken oder das Abteil verlassen. Das ist alles sehr doppelmoralisch. Am Ende ist es auch nur eine Stand-up-Comedyshow, ich habe niemandes Kinder entführt oder behindert gemacht. Ein Witz darf rassistisch sein, die Frage ist, ob ihn auch ein Rassist erzählt. Humor ist dazu da, die Menschen zum Lachen und zum Nachdenken zu bringen, aber er ist nicht dazu gemacht, Menschen zu verletzen. Es gibt in Deutschland ein paar Typen, die das machen und es als Satire verkaufen. Alle berufen sich auf Tucholsky, indem sie sagen: Satire darf alles! Nein, denn sein Zitat war nur ein letzter Satz eines Pamphlets über Satire. Tucholsky meinte in Wahrheit, wenn du bestimmte Punkte beachtest, dann darf Satire alles.

Wie halten Sie es selbst mit der Satire?
Ich war letztes Jahr in allen Fernsehsendungen. Das Wort, das dabei am häufigsten fiel, ist Satire. Ich habe aber nichts damit zu tun. Auch nicht mit deutschem Kabarett und der klassischen deutschen Comedy. In dem Film „Die Laughing“ sind 40 Stand-up-Comedians von Seinfeld über Chris Rock bis Jerry Lewis und Amy Schumer zu sehen. Sie reden über das Scheitern und dass man nie davor gefeit ist. Die größten Komiker der USA haben nichts mit der Comedy hier in Deutschland zu tun. Bei meiner Stand-up geht es nicht um Ironie, sondern um den eigenen Blick und die Möglichkeit, die man als Komiker hat, über Dinge zu sprechen, über die andere vielleicht nicht sprechen. In meiner neuen Show ist Down Syndrom ein Thema. Da macht es erstmal Bumm. Die Leute hier wollen simpel und nett unterhalten werden. Hinter meinen Stand-up-Shows stecken keine großen Sponsoren oder Sender, ich habe mir alles selber zuhause ausgedacht. Sie sind der Kern von dem, was ich bin.

Der umstrittene Majestätsbeleidigungs-Paragraf ist soeben von der Bundesregierung abgeschafft worden. In Deutschland können Künstler sagen, was Sie wollen. Lieben Sie Ihre Heimat?
Das verleitet mich nicht dazu, Deutschland zu lieben. Was bestimmte Dinge angeht, bin ich froh, hier zu sein. Aber es gibt auch vieles, was ich nicht gut finde, von AfD über NPD bis hin zur nicht vorhandenen Identität der Deutschen. Das ist oft schon unerträglich. Wenn mich jemand fragt, wo ich herkomme, sage ich: „deutsch, russisch, jüdisch“. Die deutsche Reaktion ist dann immer: „Warum musst du jetzt erwähnen, dass du jüdisch bist? Ich hab dich doch nicht nach deiner Religion gefragt“. Sehen Sie: genau da fängt es an. Ich bin beruflich viel in New York und auch in Amsterdam kommen mir die Menschen offener und herzlicher vor. Da würde man antworten: Cool oder I’m sorry.

Die AfD-Spitzenkandidatin für die Bundestagswahl, Alice Weidel, hat im Rechtsstreit über die Formulierung „Nazischlampe“ in der NDR-Satiresendung extra 3 eine Niederlage erlitten. Wie denken Sie darüber?
Ich muss sagen, ich gucke extra 3 nicht. Und die AfD kann ich genauso ernst nehmen wie Dieter Hallervorden. Es ist doch ein Unterschied, wenn ein Stand-up-Comedian auf der Bühne etwas sagt oder irgend ein Typ auf Twitter. Wenn Alice Weidel fordert, politische Korrektheit gehöre auf den Müllhaufen der Geschichte, macht sie alle Grenzen offen. So lange es nicht um einen selber geht, reißt man die Fresse auf. Man hat das Gefühl, dass alle Formate im Fernsehen sich auf die AfD einschießen. Die Frage ist, ob man diese Partei nicht manchmal schon ein bisschen verniedlicht. Es ist beängstigend, dass in Deutschland wieder Parteien wie die AfD salonfähig werden, die den Holocaust verharmlosen. Das spielt einem neu aufstrebenden Antisemitismus vor allem in der arabischen Bevölkerung in die Hände. Der dann wieder oft von Deutschen toleriert wird, weil sie das Gefühl haben, dann müssen sie ja nichts mehr sagen. Es ist alles ziemlich gruselig.

Oliver Polak auf Tour
Der Comedian kommt auf seiner „Über Alles“-Tour am 22. September um 19.30 Uhr in die Monobar nach Nürnberg. Karten gibt es im Ticketshop unserer Zeitung.