Herr Dahl, die Nachrichten sind voll von Meldungen über Attentate, Massenmorde und ertrinkende Flüchtlinge. Muss man denn auch noch in fiktiven Geschichten Menschen grausam töten - wie in Ihrem neuen Buch?

In "Sieben minus eins" geht es vor allem um die Drohung von Gewalt, es gibt nicht so viel wirkliche Gewalt. Das ist mehr und mehr das, was wir heute - in Europa - fühlen, glaube ich: Es gibt eine ständige Drohung: Wann kommt eigentlich die große Gewalt in unsere Stadt? Damit ist das Buch aktueller als ich dachte, als ich es schrieb.

Stimmt die These, dass sich Menschen mit Gewalt konfrontieren müssen, um zu merken, wie gut es ihnen geht? Wenn ohnehin alles um uns herum in realer Gewalt aufgeht, warum sind Krimis dann immer noch so extrem beliebt?

Krimis versprechen Heilung. Alles wird vielleicht nicht gelöst, aber die große Wunde im Leben, in der Gesellschaft, in der Vergangenheit wird geheilt. Das ist der große Unterschied zur realen Gewalt. Krimis sind wie eine Behandlung des Schreckens; die abstrakte Angst und Furcht, die wir fühlen, wird konkret - und damit wird es möglich, sie zu konfrontieren.

Ihr großer Erfolg kam Ende der Neunziger mit der "A-Gruppe", einer Stockholmer Sondereinheit, die sich später zu einer europäischen Ermittlertruppe entwickelte. Ihr neues Buch hat neue Helden, ist anders als all Ihre Krimis zuvor. Warum?

Manchmal brauchen Autoren neue Energie. Man hat alle diese Fähigkeiten, man wird sehr gut in bestimmten Dingen - ich zum Beispiel in der Kollektiverzählung - und man wird sicher. Wenn man als Autor sicher wird, verliert man etwas, die Verve vielleicht. Ich wollte zurück zur Unsicherheit, ich wollte wieder jung sein, als Autor.

Wie konnten Sie sich von allem befreien, was vorher war?

Die Polizisten der A-Gruppe und der Opcop-Gruppe sind immer bei mir - ich bin nicht völlig befreit. Aber ich hatte doch 15 Bücher mit Paul Hjelm und Kerstin Holm und den anderen geschrieben. Diesmal brauchten sie wirklich eine Pause von mir, mehr als umgekehrt. Aber sie kehren mit Sicherheit zurück.

Ihr neuer Held, Sam Berger, ist ein einsamer Wolf, ermittelt allein, schleppt Altlasten mit sich herum. Wollten Sie früher nicht genau so einen Kommissar vermeiden?

Genau, am Anfang ist er ungefähr der gewöhnliche einsame Krimi-Kommissar, den ich immer zu vermeiden versuchte. Aber diesmal war es Zeit, diesen Kommissar zu öffnen. Er hat so viel von der Wirklichkeit verpasst, jetzt muss er diese verdrängten Ecken seiner Seele wieder besuchen. Es ist ein bisschen wie ein Entwicklungsroman.

Sam Berger ist sehr analog, sammelt alte Uhren. Ganz anders als Ihre europäische Ermittlertruppe Opcops, die immer die neueste Technik zur Verfügung hatte.

Ich wollte weg von den hochtechnologischen Ermittlungsarten und zurück zum Kern des Krimis: Spannung, Drohung, psychologische Tiefe. Alles sollte kleiner und einfacher werden - die Komplexität der Geschichte sollte nicht so viel mit vielen Handlungsfäden zu tun haben, sondern sollte eine starke Geschichte aufbauen, mit vielen Überraschungen und Wendungen.

Wie viel von Ihnen steckt in Sam Berger?

Zu viel, fürchte ich.

Eignen sich Polizeiromane gut für gesellschaftliche Bestandsaufnahmen?

Das habe ich immer geglaubt, ja, und ich glaube das noch. Die Polizisten haben Zugang zu allen Teilen der Gesellschaft, und die Verbrechen zeigen die moralischen Grenzen einer Gesellschaft auf.

Unter Ihrem Pseudonym Arne Dahl schreiben Sie Krimis, unter Ihrem echten Namen sind Sie der hochseriöse Schriftsteller Jan Arnald. Hat Dahl über Arnald inzwischen gesiegt?

Ich brauche viele Perspektiven auf der Welt, und Arnald schreibt so viel langsamer als Dahl. Ich kehre ab und zu zurück zu Arnald. Aber erst, wenn es ein notwendiges Buch zu schreiben gibt. Dahl hat nicht gesiegt, er ist nur anders.

Wie gewissenhaft sind Sie bei der Recherche? Wie lange brauchen Sie im Vorfeld, bis Sie mit dem eigentlichen Schreiben beginnen?

In der Opcop-Reihe ein bisschen zu viel Zeit; deshalb war es notwendig, alles enger, dichter und kleiner zu machen: zurück zur Erzählung, zum Text, zur Geschichte. Aber es ist grundsätzlich so, dass ein Krimi geplant sein muss. Es gibt so viele Elemente, die verknüpft sein müssen, ein dramatischer Bogen muss geschaffen werden et cetera. Man kann nicht nur schreiben und hoffen. Aber diesmal, mit "Sieben minus eins", war alles weniger geplant und vielleicht mehr spontan gemacht.

Die Bücher um Ihre Sonderermittler der A-Gruppe wurden verfilmt. Derzeit laufen sie im deutschen Fernsehen. Haben Sie an den Drehbüchern mitgearbeitet?

Ja, am Anfang versuchte ich, allen verschiedenen Versionen des Drehbuchs zu folgen und hatte viele Ansichten dazu. Aber am Ende hatte ich nicht genug Zeit. Seitdem verfolge ich das eigentlich immer weniger.

Wie gefällt Ihnen Ihr Buch als Film?

Das Wichtigste war, wie die Polizisten zusammenarbeiten. Das ist der Kern der A-Gruppe: die persönlichen Verhältnisse, die Gespräche, die gemeinsame Entwicklung. Und das funktioniert ganz gut, denke ich. Die Geschichten sind einfacher - und manchmal auch ganz anders - geworden. Aber so muss es in dieser großen Transformation sein.

Haben Sie persönlichen Kontakt zu den Darstellern, etwa zu Marlin Arvidsson, die die A-Gruppen-Chefin Kerstin Holm spielt?

Wir hatten viel persönlichen Kontakt, ja. Ich habe viel über die Verfilmung gesprochen. Mit fast allen Darstellern.

Sind Sie noch immer Teilzeit-Berliner?

Nicht mehr so viel, aber ich habe eine Wohnung da, und ich liebe Berlin. Wir fahren mehrmals im Jahr hin. Aber wir wohnen eigentlich nicht da.

Was lesen Sie selbst gerne? Krimis von anderen Autoren?

Ich lese mehr Nicht-Krimis als Krimis, nicht wenige Klassiker. Und als Krimi-Leser bin ich ziemlich wählerisch. Aber es gibt viele Krimis mit großartigem literarischen Wert!

Welches Buch liegt derzeit auf Ihrem Nachttisch?

Die Essays von Montaigne.

Die Fragen stellte Andrea Herdegen

Zur Person

Arne Dahl, Jahrgang 1963, hat mit seinen Kriminalromanen um die Stockholmer A-Gruppe eine der weltweit erfolgreichsten Serien geschaffen. International mit zahlreichen Auszeichnungen bedacht, verkauften sich allein im deutschsprachigen Raum über eine Million Bücher. 2012 begann er mit "Gier" ein neues Thriller-Quartett, dessen Folgebände "Zorn", "Neid" und "Hass" ebenfalls Bestseller wurden. Mit "Sieben minus eins" beginnt er eine neue Serie um das Ermittlerduo Berger und Blom, die international mit Spannung erwartet wird und zahlreiche Vorschusslorbeeren erhielt.

Am Sonntag, 6. November, liest er um 19.30 Uhr im Ertl-Zentrum in Hallstadt bei Bamberg aus seinem neuen Roman. Karten gibt es im Ticket-Shop unserer Zeitung.