Herr Friese, am Samstag hat "Geschichten aus dem Wienerwald", ein 1931 uraufgeführtes Stück, am Theater Hof Premiere. Warum soll ich mir diese Aufführung im Jahr 2018 noch geben?

Zur Person

Reinhardt Friese, 49, in Mainz geboren, begann seine Karriere am Staatsschauspiel Wiesbaden. Weit mehr als 100 Inszenierungen in Musiktheater und Schauspiel gehen auf sein Konto: so an den Theatern Augsburg, Bern und Wuppertal, am Schauspiel Essen, am Deutschen Theater Göttingen, an der Bayerischen Theaterakademie München und an den Staatstheatern Karlsruhe und Wiesbaden. Seit der Spielzeit 2012/2013 ist der mehrfach ausgezeichnete Friese Intendant am Theater Hof.

Das Stück beschreibt, uraufgeführt 1931, also am Vorabend der "Machtergreifung", welchen Nährboden es für Faschismus auch heute noch braucht: Es geht um Menschen, die Angst um ihre Existenz haben, die nicht vorwärts kommen. Und es ist leichter, dann die Schuld dafür bei "Sündenböcken" zu suchen, als sich selber in die Pflicht zu nehmen. Horváth schildert das teilweise sehr subtil, aber doch eindeutig. Und er denunziert die Verlierer, aus denen die Mörder von morgen werden können, nicht. Dadurch kann auch der Zuschauer von heute Aufschluss über Probleme erhalten, denen man sich als Gesellschaft stellen muss. Und sich dann in einen Dialog begeben. In den 30er-Jahren des 20. Jahrhunderts gelang das überhaupt nicht, woraus wir heute unbedingt lernen sollten. Wir wollen als Theater ja nicht ins Museum gehen (obwohl ich es immer spannend finde, dem Hofer Publikum auch Stücke zu präsentieren, die noch nie in Hof zu sehen waren; in diesem Fall ja einen absoluten Theaterklassiker). Unsere Aufführungen sollen unsere Welt von heute spiegeln, zum Nachdenken anregen.

Warum werden nicht gleich aktuelle Stücke aufgeführt - Werke, die im Hier und Jetzt spielen? Gibt es davon zu wenig vortreffliche?

Die schriftstellerische Qualität vieler zur Zeit geschriebener Stücke entspricht oft nicht meinen Ansprüchen. Da gibt es viele Moden, gerne die sogenannten Textsteinbrüche, bei denen ohne verteilte Rollen und Satzzeichen Texte einfach so hingestellt werden. Das liest sich oft besser als dass es sich spielt. Auch Film- oder Roman-Adaptionen sind sehr beliebt, ebenso bearbeitete Klassiker, die "Re-Writed" werden. Sehr oft geht da Form vor Inhalt, außerdem finden da häufig Verknappungen oder Vereinfachungen statt, die komplexen Sachverhalten nicht gerecht werden. Moderne Stücke - nicht alle - sind da gerne sehr plakativ, zeigen wenig Interesse daran, vertieft hinzuschauen. Da bieten die klassischen Stoffe oft einfach mehr Futter, sind reicher. Wir spielen aber auch viele moderne Stücke, wie zum Beispiel "Three Kingdoms" vergangene Saison oder "Terror" in dieser Spielzeit. Die Qualität muss halt stimmen. Abgesehen davon hilft der Blick über die Schulter zurück, die Wahrnehmung eines historischen Kontextes, die Geschehnisse unserer Zeit einordnen zu können, und oft stellt man Parallelen, Überschneidungen und Ursächlichkeiten fest, die sich erst durch den Vergleich ergeben. Ich möchte auch nicht verschweigen, dass bekanntere Titel es oft beim Publikum leichter haben. Das Neue muss im Theater schon eine besondere Kraft haben, um zu überzeugen. Wir arbeiten deswegen in Hof gerne und häufig mit Autoren und Komponisten zusammen, denen wir Auftragsarbeiten erteilen: Also Stücke bestellen, die sowohl thematisch Relevanz bieten als auch für unser Haus, unser Ensemble maßgeschneidert sind. Ich denke da nicht nur an unsere aufsehenerregenden Musicals, sondern auch an Uraufführungen wie "Schmerzliche Heimat" über die NSU-Morde oder unsere Zusammenarbeit mit dem Hofer Autor Roland Spranger.

Dass Sie keine Angst vor neueren respektive komplexen Stoffen haben, sprich, durchaus etwas wagen, bewiesen Sie erst mit "Ein Traumspiel". Dennoch: Wie sehr müssen Sie in der Auswahl der Stücke auf das Publikum zugehen, um hohe Auslastungsquoten zu erzielen?

Die Mischung macht's. Ich kann ja nicht das ganze Jahr über nur Komödien, Musicals und Operetten spielen, dafür werden wir auch nicht finanziert. Wenn wir als öffentlich getragene Bühne keine Wagnisse eingehen, Sperriges oder Unbekanntes versuchen, wer dann? Und ich bin der festen Überzeugung, dass auch Werke abseits des Mainstreams ihr Publikum finden können. Wir haben zum Beispiel mit "Wenn Rosenblätter fallen" ein Stück über Sterbehilfe gespielt, das war sehr gut besucht. Ich will das Publikum nicht unterfordern. Ich mache hier ein Programm, das ich auch in anderen, größeren Städten so machen würde. Alles andere wäre ja zynisch, nach dem Motto "Das kannst du in Hof nicht bringen". Ich nehme wahr, dass unsere Zuschauer sich sehr wohl einlassen. Umgekehrt spiele ich aber auch voller Überzeugung Unterhaltung, das gehört einfach zusammen. Theater beweist Qualität übrigens nicht nur in Quoten und Auslastung. Es kann durchaus sein, dass sich eine Produktion nicht rechnet, sich aber doch auszahlt. Siehe "Traumspiel" mit großer überregionaler Wahrnehmung. Das ist dann übrigens auch eine gute Werbung für die Stadt Hof, da hat nicht nur das Theater etwas davon.

Und doch dürften Ihnen bei der Stücke-Auswahl Grenzen gesetzt sein: Zum einen, was die Finanzen angeht, man denke an personenintensive Stücke oder sicherlich kostspielige Uraufführungen populärer Autoren. Zum anderen durch schnöde Parameter wie die Bühnengröße oder deren technische Ausstattung. Wie sehr können Sie da ausgleichend wirken?

Man kann da sehr findig sein, sowohl durch Striche oder Besetzungskniffe. Aber Sie haben Recht, es gibt Werke, zum Beispiel von Franz Schreker, die kann ich hier in Hof nicht bringen. Das ist auch nicht immer nur eine Frage der Bühnengröße, auch der Orchestergraben oder die Zahl von gastweise zu verpflichtenden Sängern oder Musikern spielt da eine Rolle. Dennoch: Wir spielen die großen Stoffe - und nicht in einer Sparfassung. Oft kann man durch eine Konzentration aufs Wesentliche auch viel mehr erreichen, als alles durch Ausstattung zu illustrieren. Da sind meine Regie-Teams sehr kreativ, und mein wunderbares Ensemble erst recht.

Sie inszenieren selbst. Was ist denn ein Traum von Ihnen, den Sie bislang noch nicht realisieren konnten - und warum klappte es nicht?

Ich habe viele Traumstücke machen können. Als Nächstes folgt "Wie es euch gefällt", eine tolle Herausforderung. Generell freue ich mich immer auf die jeweils nächste Produktion, entdecke das folgende Stück gerne für mich. Ich möchte aber gern weiter Shakespeare machen, mein Lieblingsautor. Ebenso Kleist oder Schiller; Letzteren gab es hier in Hof länger nicht. Ich habe einige spannende und spektakuläre Stoffe im Kopf, auf die sich Hof freuen kann. Einige werde ich selber auf die Bühne bringen, aber meine Hauptaufgabe ist ja ein Spielplan, zu dem Vielfalt auch in den künstlerischen Handschriften der Regisseure gehört. Deswegen engagiere ich immer Regisseure, die es garantiert anders machen, als ich es selber machen würde. Aber "Der Sturm" von Shakespeare, das wäre Chef-Sache . . .

Das Gespräch führte Thoralf Lange