In Düsseldorf marschiert ein Trupp junger Menschen, heilsgewiss bis zur Verblendung, an den Rhein. Herzhaft spornen sie sich mit Liedern an. Am Ufer des Stroms entzünden sie ein Feuer - und werfen, als ob endlich schlimmstem Abscheu Genüge geschähe, frohgemut Bücher hinein. Nichts Pornografisches; sondern Werke zeitgenössischer Autoren.

Keine Szene aus der reichsweiten Bücherverbrennung durch die Nationalsozialisten vor achtzig Jahren. Sondern am 3. Oktober 1965, gut zwanzig Jahre nach dem Ende der braunen Willkür, trug die grausige Szene sich zu. Nicht Hitlerjugend schürte den Scheiterhaufen, sondern eine Gruppe des "Bundes entschiedener Christen". Vorher hatte sie das Amt für öffentliche Ordnung informiert und seine Genehmigung erwirkt. Die Schriften, die sie linientreu im Feuer opferte, stammten von Camus und Françoise Sagan, von Nabokov, Günter Grass. Und von Erich Kästner. Ihn verbrannte man zum zweiten Mal.

Denn schon am 10. Mai 1933 in Berlin war er unter denen gewesen, deren Geistesproduktion die Nazis zu Asche zerstäubten. Als nach der Machtübergabe an Adolf Hitler fast alle Wortführer der deutschen Literatur ins Exil auswichen, hatte Kästner sich entschlossen, im Land zu bleiben, der Lebensgefahr bewusst. Trotzdem mischte er sich wie ein Augenzeuge seiner eigenen Hinrichtung, als "Leidtragender bei meinem Begräbnis" unter das enthusiasmierte Schau- und Schreivolk an der Brandstätte gegenüber der Humboldt-Universität und hielt dem "unvergesslich widerwärtigen Schauspiel" stand, das SA und gleichgeschaltete Studenten "der gesamten zivilisierten Welt boten".

"Pechfackeln wurden angezündet. Vor den Bankpalästen flammte der Scheiterhaufen auf. Lastwagen rollten heran. Tausende von Büchern wurden ausgekippt und von fleißigen Händen hoch im Bogen ins Feuer geworfen. Dann tauchte [Reichspropagandaminister und -kulturchef Joseph] Goebbels auf: Hier rächte sich", erinnerte sich Kästner 1947 in der Frankfurter NEUEN ZEITUNG, "ein durchgefallener Literat an der Literatur."

Durch Lautsprecher und Rundfunkgeräte plärrte das überschnappende Geschrei des Dr. phil.: "Das ist eine starke, große und symbolische Handlung, die vor aller Welt dokumentieren soll: Hier wird sich siegreich erheben der Phönix eines neuen Geistes." Pathetische "Feuersprüche" deklamierend, verfluchten Studenten "Klassenkampf" und "Dekadenz", "Gesinnungslumperei" und "seelenzerfasernde Überschätzung des Trieblebens", einen "volksfremden Journalismus demokratisch-jüdischer Prägung".

Von den Universitäten war der Feldzug ausgegangen gegen "zersetzende Intellektbestien" wie die Manns, Alfred Döblin und Arthur Schnitzler, Irmgard Keun, Nelly Sachs oder Anna Seghers. In Acht und Bann gerieten jetzt oder später ebenso Kafka und Kerr, Sigmund Freud, Remarque und beide Zweigs, Brecht, Tucholsky. Entsetzt darüber, nicht gleich zu jenen durch Schmach geadelten Schriftstellern gehören zu dürfen, forderte der altbairische Erzähler und Sozialist Oskar Maria Graf zwei Tage später von seinem Wiener Exil aus kategorisch: "Verbrennt mich!" Einige Einäscherungen, etwa in Coburg, waren dem Berliner Schandtag vorausgegangen; viele ereigneten sich gleichzeitig andernorts, auch in Nürnberg und Würzburg; weitere, wie in Bamberg oder Erlangen, folgten in den Wochen danach.

An den Hochschulen beherrschten braune Gruppen die "Deutsche Studentenschaft". Willfährig zog sie los gegen "jüdischen Geist" und jede "undeutsche", unangepasste, individualistische Haltung, um sie "auszumerzen", auf dass "volksbewusstes Denken und Fühlen" an ihre Stelle trete. Breit vorbereitet, war die Aktion am 12. April mit der Veröffentlichung von "Zwölf Thesen wider den undeutschen Geist" angelaufen. "Der Jude kann nur jüdisch denken. Schreibt er deutsch, dann lügt er", war darin zu lesen. Und: "Der Deutsche, der deutsch schreibt, aber undeutsch denkt, ist ein Verräter!"

Fortan boykottierten oder sprengten Studenten Vorlesungen jüdischer Professoren und lasen gierig die Namen und Titel verhasster Autoren und Werke von "Schwarzen Listen". Hochschulbibliotheken, öffentliche und private Büchereien "säuberten" sie von zigtausend Zentnern Büchern und Broschüren. "So rasch gab der Geist seinen Geist auf", schrieb Erich Kästner.

Mehrmals nach 1945 hat er sich "Über das Verbrennen von Büchern" öffentlich geäußert. Vier Texte über den Terror wider alle Vernunft fasst jetzt ein Bändchen des Atrium-Verlags zusammen, in dem der Erfinder des "Fabian", des detektivischen "Emils", der "Schule der Diktatoren" zwar einräumt: "Seit Bücher geschrieben werden, werden Bücher verbrannt." Klein beigeben aber kam nicht infrage: "Die Geschichte der Freiheit ist die Geschichte ihrer Unterdrückung, und die Scheiterhaufen sind die historischen Schnitt- und Brennpunkte." Das Autodafé von Düsseldorf, bei dem junge Christen, fern- und fehlgesteuert, "Lesestoff" zu "Zündstoff, Brennstoff" verwandelten, bestärkte ihn noch: "Das blutige Rot der Scheiterhaufen ist immergrün."

Trotz so düsterer Aussicht ging er nicht davon ab, dass Bücher "nur eines natürlichen Todes" sterben könnten. "Sie sterben, wenn ihre Zeit erfüllt ist. Bücher kann man nicht verbrennen." Manche, viele überleben den Massenmord, den der Ungeist an ihnen begeht. Manche, etliche stehen irgendwann wieder auf von den Toten.

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Erich Kästner: Über das Verbrennen von Büchern. Atrium-Verlag, 52 Seiten, gebunden, 10 Euro.

Ausführliche Website im Internet: www.buecherverbrennung33.de.

Der Deutsche, der deutsch schreibt, aber undeutsch denkt, ist ein Verräter!

Aus den "Zwölf Thesen wider

den undeutschen Geist"