Herr Friese, Ihr Othello ist eine weibliche lesbische Generalin. Ist das Thema Rassismus um den schwarzen Othello, den Mohren von Venedig, schon zu abgegriffen?

Termine

"Othello" feiert am 15. Februar um 19.30 Uhr Premiere im Großen Haus des Theaters Hof. Weitere Aufführungen sind am 26. und 28. Februar jeweils um 19.30 Uhr zu sehen.

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Wir haben sicher immer noch Rassismusprobleme, das Thema ist nach wie vor relevant. Aber ich denke, dass das normale Theaterpublikum generell ein tolerantere Haltung hat, die nicht rassistisch ist. Das Thema kann man von sich wegschieben, weil es einen ja vordergründig nichts angeht. Das ist eine Komfortzonenhaltung.

Ist die Geschlechter-Diskussion den Leuten tatsächlich näher?

Ich habe mir überlegt, wie viele weibliche Führungskräfte im Militär gibt es? Selbst in den USA und in Israel, wo weibliche Soldaten normal sind, finden sich kaum Frauen im Offiziersrang, schon gar keine weiblichen Oberbefehlshaber. Ich habe während der ersten Überlegungen einfach mal das Wort Mohr durch Lesbe ersetzt. Plötzlich merkt man, wie unangenehm das wird. Das rückt einem viel mehr auf den Pelz. Vielleicht fühlt sich beim Ehepaar im Zuschauerraum der Mann ertappt, vielleicht kommt der Frau etwas bekannt vor. Wenn dann noch Homosexualität mit hineinkommt, dann merkt man, dass die Gesellschaft offenbar doch nicht so tolerant ist, wie man es hofft.

Wie viel Shakespeare bleibt da noch übrig?

Wir haben die Hoffnung, dass das, was Shakespeare im 17. Jahrhundert mit gesellschaftlichem Sprengsatz geschrieben hat, wir heute aktuell auf die Bühne bringen. Als damals in England plötzlich Schwarze aus den Kolonien im Stadtbild auftauchten, war es undenkbar, dass sich eine weiße Frau aus gutem Haus mit einem Afrikaner zusammentut. Wir wollen diesen Konflikt in die Gegenwart tragen und daher im Sinne Shakespeares arbeiten - nicht gegen ihn.

Die Logik der Inszenierung ist zwingend, aber hat sie nicht auch taktische Gründe? Die Geschlechter-Diskussion ist schließlich à la mode.

Nein. Die Inszenierung bringt einen dazu, sich zu hinterfragen. Das betrifft auch mich. Ich gehöre zur Zielgruppe des gesellschaftlichen Aufstandes: mittelalter weißer Mann in Chefposition. Ich will eben nicht ausschließen, dass man sich durch die Debatte noch mal neu hinterfragt. Mein Bewusstsein jedenfalls ist geschärft worden. Aus der Mode heraus machen wir es ganz sicher nicht. Zumal zurzeit Demagogen wie Trump, Orbán oder Boris Johnson in die Vergangenheit zurück wollen. Sie wollen in die 50er-Jahre zurück, zu angestaubten Rollenbildern und zur Ächtung der Homosexuellen.

Wieso dann aber Othello und kein zeitgenössisches Stück?

Erstens habe ich keines gefunden, zweitens fand ich es naheliegend und stimmig. Wir gehen an die heilige Kuh heran, aber bei Shakespeare geht das auch besonders gut, weil er die Qualität hat, archaische und grundsätzliche Themen zu schreiben. Es geht in Othello um einen gesellschaftlichen Außenseiter, der eine hohe Position hat - mehr erreicht hat, als in seiner Situation üblich - und nun den Schritt zu weit geht, indem er sich den Partner aussucht, bei dem die Verunsicherung der anderen Männer groß wird. Der Grundkonflikt ist der gleiche.

Welche Verunsicherung meinen Sie konkret?

Es geht beispielsweise um das Frauenbild. Es wird vor allem die alte heile Welt infrage gestellt, die man gewohnt war. Was wollen die Frauen? Sage ich zu einer "Du bist eine schöne Frau", habe ich sie dann darauf reduziert? Jago, der Intrigant, zum Beispiel will etwas verteidigen, ein Oben und ein Unten, seine alte Ordnung. Dass Othello eine Frau ist, kann er gerade noch akzeptieren, mehr aber nicht.

Diese Konflikte herauszuarbeiten, wird aber nicht mit dem Text funktionieren, wie man ihn kennt. Was passiert mit ihm, Frau Schwan? Sie haben Othello für Hof neu übersetzt.

Das Original hat eine sehr geschliffene, poetische Sprache. Ich habe den Text in Alltagsdeutsch übertragen, da dieser Othello in unserer Zeit spielt. Das ist der Anspruch. Aber die Figuren sind alle anders, sie leben in verschiedenen Milieus und sozialen Schichten, ich wollte allen einen unterschiedlichen Habitus geben beim Sprechen.

Frau Schwan, Sie haben den Text umgeschrieben, sind aber keine Autorin, sondern Schauspielerin. Hat es das leichter gemacht?

Ja. Ich habe mir beim Schreiben die Texte vorgesprochen und darauf geachtet, ob es mundgerecht ist. So leicht war es aber nicht. Der Shakespeare-Text ist brillant geschrieben und wunderschön - da die Axt anzulegen, heißt schon etwas. Es gibt bei uns keinen Vers, sondern der Text lebt von der Einfachheit. Das hat gedauert, bis ich mich da reingefunden hatte.

Riskieren Sie bewusst, mit der Sprache und der lesbischen Othello, sich den Ärger einiger Zuschauer auf sich zu ziehen, Herr Friese?

Dafür sind wir Theater. Wir bieten Konfrontationsfläche. Man soll sich fragen: Möchte ich die alten Rollenmuster wirklich zurück, auch wenn mich die Geschlechterdiskussion nervt? Will ich wirklich wieder dorthin zurück? Als Intendant ist es mir nicht so wichtig, ob sich die Leute fragen, inwieweit wir das Stück dem Original historisch und sprachlich möglichst genau nachempfinden, was wir mit dem Stück oder der Sprache gemacht haben. Man soll im Theater etwas über die Welt erfahren, in der man lebt. Jedem Regisseur würde ich sagen: Pfeif’ darauf, ob man sagt, es ist eine schöne Inszenierung. Wir wollen einen wunden Punkt ansprechen, über den man redet. Wenn jemand die Inszenierung oder die Sprache fragwürdig findet, damit könnte ich leben - solange die Menschen in eine Diskussion verwickelt sind, die sie vielleicht auch aufregt. Theater ist nicht immer eine edlere Welt, die man betritt.

Das Gespräch führte Harald Werder

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Theater Hof und Frankenpost verleihen für die laufende Spielzeit 2019/20 gemeinsam einen Theater-Oskar. Vergeben wird der Preis in vier Kategorien. Wer mitstimmen will, sollte sich bereits laufende Aufführungen einprägen. Nach der Premiere des letzten Stücks am 6. Juni 2020 geht es los.