Bayreuth - Alljährlich kurz vor den Bayreuther Richard-Wagner-Festspiele kommen Bücher heraus, die sich am Denkmal Bayreuth abarbeiten. Die Autoren sonnen sich in seinem Glanz, kratzen am Lack, und manche demolieren es. Ganz wenige betrachten es nur. "Wagners Welttheater", die "Geschichte der Bayreuther Festspiele zwischen Kunst und Politik", die Bernd Buchner kürzlich in Kulmbach vorstellte, ist eine solche Betrachtung, eine gründliche, recht wissenschaftliche.

Hier wird - nach Angaben des Verlags "erstmals" - die politische Seite der Festspielgeschichte "von der Kaiserzeit bis zu frühen Bundesrepublik nachgezeichnet und analysiert". Doch die Verve, mit der mancher Autor mit Richard Wagner, dessen Nationalismus und Antisemitismus und dem Anspruch auf "religioide Verehrung" (Buchner) ins Gericht geht, die ist dem Autor des "Welttheaters" fremd: Sachlich und gelassen zählt er auf, was ihm so aufgefallen ist beim Studium der Akten.

Zum Beispiel, dass die umfangreicher sein könnten. Die Archivalien bis 1945 seien öffentlich zugänglich, berichtet der Historiker, dann werde es schwierig: Ab 1951 - der Wiederaufnahme der Festspiele nach dem Krieg - "ist alles verschlossen", sagt Buchner: Seine Bitten um Akteneinsicht beantwortete die Festspielleitung mit dem Hinweis, dass es im Festspielhaus "kein Archiv im landläufigen Sinne" gebe, dass die Akten im Gebäude verstreut gelagert würden. "Das wäre ein Skandal", findet Buchner. Die dünne Aktenlage war auch der Grund, warum er 1966 - dem Jahr des Todes von Wieland Wagner und der Übernahme der Festspielleitung durch Wolfgang - zunächst aufhört mit seiner Festspielgeschichte.

Über ihr steht die These: Bayreuth - im Sinne eines Wagner-bestimmten Mikrokosmos aus Familie, Politik, Publikum, Künstlern, Organisatoren, Publizistik und Finanziers - ist politisch von Anfang an: "Die Aufladung liegt in Wagner selber begründet." Der Komponist sei ein durch und durch politischer - wenn auch je nach Lage angepasster - Mensch gewesen, als Teilnehmer der Revolution von 1849, im Exil, als Protegé König Ludwigs II., als Verfasser von Schriften völkischen und antisemitischen Inhalts. "Durch sein Wirken als auch durch die Wahl seiner Stoffe hat er wesentlich zur Politisierung der Musik beigetragen. Eine Autonomie der Musik geht bei ihm nicht." Von wegen, "hier gilt´s der Kunst".

Das Festspielhaus plante Richard Wagner ganz bewusst in der Provinz: Fern jeder Ablenkung sollte sich "das Volk" in seine Musik versenken, und zwar nur in die des "Rings": überhöhte Helden, Verrat und eine neue Weltordnung - wenn das nicht politisch ist. Buchner: "Wagner ist der erste, der Töne politisch einsetzt."

Und die Stücke? Sind die auch politisch, völkisch-nationalistisch? Da trennt Buchner: Dass Wagner selber Antisemit und Rassist war, sei unbestritten. Aber immer noch werde heiß diskutiert, ob Kundry, Beckmesser oder Mime antisemitische Zerrbilder seien. "Wenn man da zu einem Ja käme, dann könnte man 'Parsifal', 'Meistersinger' und 'Siegfried' nur schwer noch auf die Bühne bringen, das würde sich verbieten."

Zum "geistigen Zentrum der Stadt und Ersatz für den fehlenden Fürstenhof" wurde der Familienwohnsitz Wahnfried nach dem Tod Wagners 1883, als Witwe Cosima die Leitung der Festspiele und die Deutungshoheit übernahm, meint Buchner. "Auf dem Weg von Wagner zu Hitler liegt auf jeden Fall Bayreuth." Siegfried Wagner ruft 1924 "Erlösungs- und Befestigungsspiele des deutschen Geistes" aus, und seine Witwe Winifred macht "Bayreuth" zum Wallfahrtsort der Nazis. In ihr verdichte sich die Verkettung von Kunst und Politik, auch in der Nachkriegszeit, so Buchner: "Während vorne Wolfgang und Wieland die Spitzen der jungen Republik begrüßten, tat dies Winifred an der Hintertür mit Emmi Göring, Ilse Hess und anderen Größen der Nazizeit."

Überhaupt Wieland: Auch er ist dem Historiker Buchner ein Beweis für die politische Aufladung von "Bayreuth". Sein Wirken wird als Neuanfang ("Neu-Bayreuth") bezeichnet, doch Buchner zerlegt diesen Nimbus: Künstlerisch habe Wieland wohl eine neue Ära eingeläutet, doch allein aus Not. "Man hatte schlicht kein Geld, für üppige Bühnenaufbauten, deshalb waren die Inszenierungen so reduziert, karg und damit modern." Der Historiker bezeichnet Wieland als Parteimitglied, Günstling Hitlers, beschenkt und vom Wehrdienst freigestellt. "Dass ausgerechnet Wieland, bei Kriegsende 28 Jahre alt, zu jung gewesen sein soll, um in das Regime verwickelt gewesen zu sein", hält Buchner für einen "Treppenwitz". Dass so jemand habe "unpolitische" Wagnerfestspiele inszenieren können, bezweifelt er. "Es gab keine Entnazifizierung - weder politisch noch künstlerisch", ist Buchner überzeugt. Für ihn ist Bayreuth ein "Mikrokosmos dessen, was in der Bundesrepublik geschah": biegsame Anpassungsfähigkeit, verweigerte Vergangenheitsbewältigung - bis 1966 und wahrscheinlich bis heute.

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Bernd Buchner: Wagners Welttheater. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 254 Seiten, gebunden, 39,90 Euro.

Auf dem Weg von Wagner zu Hitler liegt Bayreuth.

Autor Bernd Buchner


Es gibt kein Archiv im landläufigen Sinne.

Auskunft der Festspielleitung


Der Autor

Dr. phil. Bernd Buchner, Jahrgang 1968, stammt aus Kulmbach. Er studierte Geschichte, Journalistik, Anglistik und katholische Theologie in Gießen und Bordeaux, unter anderem als Graduiertenstipendiat der Friedrich-Ebert-Stiftung. Nach einem Zeitungsvolontariat in Bayreuth und beruflichen Stationen in München und Hamburg bei Zeitungen und der Katholischen Nachrichtenagentur KNA arbeitet er heute für die Internetplattform www.luther2017.de in Frankfurt am Main.